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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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bitte aufhören zu telefonieren und herunterkommen. Jetzt sofort.«
    »Jetzt sofort …«, fing er an, doch ich legte auf, ohne mir noch mehr anzuhören. Ich stellte mich an den Fuß der Treppe und klopfte mit dem Telefon ungeduldig in meine Handfläche. Ich war wütend, was bedeutete, dass ich keine Angst mehr hatte – obwohl ich mir im Nachhinein dachte, dass ich vermutlich Grund zur Angst gehabt hätte. Aber damals hatte ich einfach nur eine Stinkwut.
    Er trabte die Stufen herab und schwang lässig seine Autoschlüssel in der gebräunten Hand, unschuldig wie der junge Morgen, aber glücklicherweise bekleidet.
    »Hi«, flötete er fröhlich, was mich eine Sekunde lang sprachlos machte. »Ich habe bloß auf Maxine gewartet, wissen Sie.«
    »Wie sind Sie hereingekommen?«, fragte ich und streckte die Hand nach meinem Telefon aus. Er kam auf mich zu und sah mich mit seinen kohlrabenschwarzen Augen an. »Maxine hat mir ihren Schlüssel gegeben. Okay?«
    »Nein, ehrlich gesagt ist das nicht okay.« Aus irgendeinem Grund waren meine Knie ein bisschen weich, also streckte ich die Hand aus, um mich am Geländer festzuhalten, aber er war zu schnell für mich. Er umfasste mein Handgelenk. Seine Haut schien glühend heiß.
    »Alles in Ordnung mit Ihnen?« Er sah mir in die Augen, und ich war nicht fähig zu antworten, so durcheinander war ich. »Ich warte im Auto auf Maxine und gebe ihr ihren Schlüssel zurück. Danke für das Telefon.« Er nahm meine andere Hand und legte das schweißnasse Mobilteil hinein. Ich atmete seinen Geruch ein. Er roch nach Moschus. Dann war er weg.
    Erst später, als ich meine fünf Sinne wieder beisammen hatte, merkte ich, dass er die ganze Zeit sein Bluetooth-Set fürs Handy aufgehabt hatte. Warum hatte er dann mein Telefon benutzt?

Kapitel 14
     
    Am nächsten Morgen konnte ich Debs Ankunft kaum erwarten. Ich wollte ihr unbedingt von Gorek erzählen und sie fragen, was ich tun sollte. Sie war ungewöhnlich spät dran, also tigerte ich im Haus auf und ab und ordnete Sachen zu Stapeln, nur um sie danach wieder zu verteilen. Schließlich kam Shirl, gähnend und nur halb angezogen. Sie war ganz aufgeregt, weil sie nachmittags zum ersten Mal in das große, neue Fitnessstudio in der Stadt wollte.
    »Ich muss einfach gut aussehen. Du kennst mich ja, Herzchen, ich bin nicht besonders gut in Sport.« Sie hatte ein weißes T-Shirt in der Hand. Es sah aus wie ein alter Geschirrlappen.
    »Gib her. Ich suche das Bügeleisen.« Glücklich, endlich etwas zu tun zu haben, bügelte ich das T-Shirt für sie, während sie sich auf den Boden hockte und ihre Massageöle sortierte. Als ich uns so in Mickeys großem Designerspiegel sah, konnte ich nicht umhin und musste hinter meinem Bügelbrett lächeln.
    »Was ist?« Shirl sah von den Fläschchen zu mir auf.
    »Nichts. Ich dachte nur daran, dass ich an so etwas nie gedacht hätte, als wir siebzehn waren.«
    »Woran? Dass du je Herrin in einem großen Angeberschuppen sein und mir mein T-Shirt bügeln würdest?«
    »Dass ich Herrin in einem großen Haus sein würde, vielleicht.« Ich dachte eine Sekunde lang nach. »Nein, eigentlich habe ich mir nichts von alldem so vorgestellt.«
    »Oder dass ich zur Arbeit gehen und du zu Hause bleiben und …« Zu spät hielt sie inne.
    »Mutter sein würdest«, beendete ich den Satz ruhig für sie.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich dachte immer, du würdest diesem Schicksal entrinnen.«
    Plötzlich sah ich uns vor meinem geistigen Auge, mich und Shirl. Hinter dem Raum für den Kunstunterricht. Unsere Röcke reichten gerade knapp über den Hintern. Shirl rauchte, während ich mit dem Walkman hantierte, den meine Oma mir geschenkt hatte, als mein Vater starb. Wir hatten nur ein Paar Ohrhörer, hörten zusammen Marvin und lachten über Viz, das Comic. Wie wir immer gemeinsam vor dem Speisesaal der Schule auf dem kurz geschorenen Rasen gelegen hatten, als wir unsere Mittlere Reife machten. Wie ich auf die letzte Seite meines Mathehefts eine Skizze von Shirl machte. (Es war nie genug Geld für die tollen Skizzenbücher da, die ich so gerne gehabt hätte.) Und wie Shirls endlose Beine die bewundernden Blicke jedes Jungen auf sich zogen, der an uns vorbeiging. Auch die der Jungs aus Robbies Gang, wenn er sich denn mal in der Schule blicken ließ. Niemand sah mich an, nicht wirklich, jedenfalls nicht so, dass es mir aufgefallen wäre. Wie Shirl Robbie sagte, dass er verrückt sei, mit solchen Leuten herumzuhängen. Wie ich über den

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