Morgen ist der Tag nach gestern
Gegen so was wird der ja versichert sein. Das ist Wäsche im Wert von mindestens dreihundert Euro. Auf den Kosten kann ich doch nicht sitzen bleiben.“
Frank starrt unverwandt auf das fehlerhafte Tischtuch. Mutter hat auch Pigmentstörungen. Und Leberflecken. Auf den Händen und Armen und an der Schläfe. Auch ihre Brüste haben Leberflecken. Sie liegen auf der Haut, erheben sich wie kleine Beulen. Neben dem Hof ihrer linken Brustwarze hat sie einen von der Größe eines Eineurostückes.
„Weiß der Horstmann überhaupt schon Bescheid? Weiß der, dass sein Sommerhaus abgebrannt ist?“ Sie schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Wieder brüllt sie los.
„Hast du ihn angerufen? Schließlich bezahlt er dich dafür, dass du dich um Haus und Garten kümmerst. Hast du ihm Bescheid gesagt?“
Frank schüttelt den Kopf.
Vielleicht folgen die kurzen, zu stark eingefärbten Fadenstücke in einem bestimmten Abstand den blassen Stücken. Das könnte es sein. Beim Einfärben des Fadens hat die Maschine ungleichmäßig gearbeitet und immer, wenn sie zu wenig Farbe abgegeben hat, wurde der Fehler automatisch korrigiert, indem die gesparte Farbe an einer anderen Stelle des Fadens zusätzlich abgegeben wurde. Der Fehler wurde mit einem anderen Fehler berichtigt. Ja, so muss es gewesen sein.
Mutter sammelt Zigaretten und Feuerzeug vom Küchenschrank und greift nach den Autoschlüsseln. „Du kümmerst dich gefälligst um die Wäsche und rufst den Horstmann an. Ich muss los.“ Sie humpelt in den Flur zurück.
„Mutter, es tut mir leid.“ Frank spürt, wie die Worte blass und tonlos aus ihm herausfallen. Er beißt sich auf die Unterlippe, spürt Übelkeit in der Kehle aufsteigen. Er schluckt. Seine Fingernägel graben sich in die Handballen.
An der Haustür lacht sie höhnisch auf und äfft seinen Tonfall nach. „Es tut mir leid! Es tut mir leid!“
5
Steeg hat seine letzten beiden Zeugen in der Sache „Schusswechsel am Bahnhof“ verhört. Ohne Ergebnis, wie er es schon geahnt hatte. Trotzdem ist er wütend und lässt, kaum dass er Böhms Büro betreten hat, Schimpftiraden ab. „Die gehören alle hinter Gitter. Die sind doch ganz anderes gewohnt, da, wo die herkommen. Die lachen doch über unser Rechtssystem. Die gehören einfach nach Hause geschickt, verstehst du? Wenn wir denen damit drohen könnten, dann würden die alle singen wie die Lerchen, da kannst du Gift drauf nehmen!“
Mit großen Schritten, die Fäuste tief in die Taschen seiner Jeans vergraben, läuft er vor dem Schreibtisch seines Chefs auf und ab. Vier Schritte in Richtung Tür, vier Schritte in Richtung Fenster.
Böhm folgt ihm mit den Augen, die, über den Rand der Nickelbrille hinweg, von rechts nach links wandern.
„Ich hab die beiden auf dem Flur gesehen. Wie alt sind die?“
Steeg hält am Fenster inne und dreht sich um. Er lehnt sich an den kleinen Wandvorsprung zwischen den beiden Fenstern.
„Fünfzehn und sechzehn. Das ist es ja! Verstehst du? Was die wohl drauf haben, wenn die erst mal zwanzig sind!“
„Findest du nicht, dass das eigentliche Problem ist, dass sie Zugang zu einer Waffe hatten? Das sind doch noch Kinder.“
Steeg verschränkt die Arme vor der breiten Brust.
„Sag ich doch. Hausdurchsuchungen bei den Eltern! Eine nach der anderen. Ich will nicht wissen, was es da alles zu finden gibt. Und anschließend alle ausweisen. Ab …“, er macht eine wegwerfende Handbewegung, „zurück nach Mütterchen Russland!“
Böhm schüttelt den Kopf. Wie oft er mit Steeg schon solche Diskussionen geführt hat.
„Du kennst meine Haltung dazu. Außerdem, hattest du nicht vorige Woche eine deutsche Fünfzehnjährige wegen Waffenbesitz da? Wo willst du die hinschicken, um dieses Land sauber zu halten?“
Steeg zieht den Mund schmal und dreht die Augen zur Decke.
Böhm klickt seinen Computer in den Ruhezustand.
„Es ist Mittag. Lass uns im Ratskeller was essen gehen. Joop ist sicher vor zwei Uhr nicht zurück.“
Als sie auf den Marktplatz treten, greift eine erbarmungs-lose Sonne nach ihnen. Die Ulmen, die den Platz einfassen, scheinen zu dösen. Nichts regt sich, nicht ein einziges Blatt. Auch die Stare und Meisen, die in den Bäumen nisten, sind nicht zu hören. Alles wartet auf den Abend. Diese helle Stille.
Drüben, auf der anderen Seite des Platzes, liegt die Terrasse der Konditorei im Schatten der riesigen Kastanien und ist voll besetzt. Die Tische und Stühle vor dem Ratskeller flirren in gestauter Hitze unter
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