Morgen ist der Tag nach gestern
und Wiesen führen sie zu den Bauernhöfen, die im Hinterland wie vergessen daliegen. Diese Straßen sind in den Fünfzigerjahren entstanden, als das Ende von 1945 beiseite geräumt und die Bevölkerung wieder zuversichtlich war.
Die Vorgärten sind schmale Streifen aus Ziersträuchern und prächtig blühende Rabatten. Nach hinten heraus erstrecken sich große Gärten, die aber ursprünglich in dieser Region als Nebenerwerbsflächen dienten. Hier wurde Gemüse gezogen, Gänse, Hühner und Schweine gemästet oder Obst angebaut. Was man nicht zur Versorgung der eigenen Familie brauchte, konnte verkauft werden. Die Männer gingen in aller Regel einer Beschäftigung außer Haus nach, sodass dieses Zubrot von den Frauen erwirtschaftet wurde.
Heute schieben sich geflieste Terrassen über die ehemaligen Hühnerhöfe, gehen in von Tannen eingefasste, kurzgeschorene Rasenflächen über, und im hinteren Teil findet man Obstbäume, Brachland oder Schaukeln und Klettergerüste für die Kinder. Alles ist erstaunlich grün, trotz der anhaltenden Hitze. Rasensprenger und eigene Brunnen sind hier am Werk.
Der Ort zieht sich bis an den Rand des Reichswaldes und als habe der Wald die Siedler verschreckt, sind die letzten Häuser nicht mehr zweistöckig sondern geduckt, so als habe man sich nicht getraut, die Firste über die Baumkronen zu erheben.
Peter Böhm biegt unmittelbar vor dem Wald, rechts in die Teichstraße. Sie zieht sich in einem langen Bogen. Er passiert ein Einfamilienhaus und gut hundert Meter dahinter ragt, störend und fast grotesk, die Ruine aus den Feldern. Für einen Augenblick glaubt Böhm nun endgültig den Trugbildern der Hitze verfallen zu sein. Dabei ist es nicht das niedergebrannte Haus, das ihn so irritiert, sondern die drei riesigen, schwarzen Bäume hinter dem Gemäuer. Nur die Stämme und einige der kräftigsten äste haben dem Feuer standgehalten und stehen vor diesem hell-blauen, fast weißen Himmel wie futuristische Kunstwerke, jenseits aller Natur.
Böhm hält den Wagen abrupt an. Steeg, der gerade die Gabel mit Roastbeef zum Mund führt, wird in den Gurt katapultiert und die feine Fleischscheibe landet im Fuß-raum des Beifahrersitzes.
„Sieh dir das an!“ Böhm starrt völlig fasziniert auf die schwarzen Giganten.
„Mein Roastbeef. Ich habe es mir für zuletzt aufbewahrt.“ Steeg hebt den Kopf und sieht sich um. „Das Haus ist abgebrannt …, oder was?“
Böhm fährt weiter und bringt den Wagen am Straßenrand, neben der Zufahrt zum Horstmann-Grundstück zum Stehen. Lembach hat sich vor der Garage postiert und spricht mit einem großen, dürren Mann auf dessen Overall THW gestickt ist.
Es riecht nach verbranntem Holz und feuchter Asche. Es riecht nach Ostersonntag, wenn in den frühen Morgenstunden die Osterfeuer erloschen sind.
Kinder in kurzen Hosen und bunten T-Shirts hocken auf ihren Fahrrädern am Absperrband. Böhm dreht sich um die eigene Achse.
Bis auf das Einfamilienhaus zur Linken, mit dem Reichswald dahinter, liegt das Horstmann-Anwesen völlig frei. Der Garten fällt nach hinten ab und endet an einem Bach. Dann beginnt der Militärübungsplatz mit weichen Hügeln, Baumgruppen, wild wachsendem Ginster, Holunder und aufgeschütteten Sandplätzen. Zur Rechten und jenseits der Straße nach vorne heraus, nur Felder und Wiesen. Die ersten Häuser des Ortes, deren Gärten man von hier aus sieht, sind mindestens fünfhundert Meter entfernt.
Ein schönes Fleckchen Erde. Er erinnert sich an eine Fahrradtour mit Brigitte. Er war hier schon mal gewesen. Letztes Jahr im Sommer hatte er mit Brigitte auf dieser Straße gestanden. Er erinnert sich an das Haus. Ein großes Haus, wahrscheinlich ehemals ein Bauernhof. Mit viel Rücksicht auf die ursprünglichen Gegebenheiten teuer und liebevoll restauriert.
Er hatte sich über den Anblick gefreut. Ja, er erinnert sich wieder. Ein Walmdach! Ein riedgedecktes Walmdach. Brigitte hatte gesagt: Das muss ein Vermögen gekostet haben!
An der Garage schüttelt er Lembach und dem Mann vom Technischen Hilfswerk die Hand.
„Das ist Horstmanns Wagen!“ Lembach schiebt kurz das Kinn in Richtung Garage. „So wie es aussieht, war er wohl hier.“
Böhm nickt.
„Horstmann ist der Eigentümer?“
Lembach trägt einen weißen Overall. Die Kapuze liegt zwischen seinen breiten Schultern, die den weißen Zellstoff bis aufs Äußerste spannen.
„Ja. Lebt eigentlich in Düsseldorf. Das hier war des Herren Sommerhaus.“ Er zieht den linken
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