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Morgen ist der Tag nach gestern

Morgen ist der Tag nach gestern

Titel: Morgen ist der Tag nach gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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sie sich in seine Angelegenheiten?
    Nur so entfaltet die Brühe ihre feine Würze in jedem Reiskorn. Man darf sie nicht in heißem Wasser auflösen.
    An allem ist Jochen schuld. Jochen und Horstmann!
    Wenn man sie in heißem Wasser auflöst, verliert die Brühe ihren Eigengeschmack und gibt nur das Salz in die Reiskörner.
    Er setzt sich zu Tisch, nimmt Mutters Teller und tut ihr auf.
    „Du kannst die Zeugnisse mitnehmen. Das wäre schön, wenn Christas Mann mir helfen würde.“
    Sie nickt ihm misstrauisch zu.
    „Versuch nicht mich zu belügen, Frank! Mach das nicht! Ich kann dir nicht helfen, wenn du mich belügst.“
    Er legt einen Löffel Reis auf seinen Teller. Man sieht diesem Reis an, das er perfekt ist. Locker und durchzogen mit allen Bestandteilen der Brühe.
    „Schmeckt es dir?“
    Sie nickt. Ganz leise fragt sie:
    „Frank? Du hast doch mit dem Feuer nichts zu tun, oder?“
    Seine Gabel fällt krachend auf den Teller.
    „Nein! Mutter, ich schwöre, nein!“
    Tränen schimmern in seinen Augen.
    „Wie kannst du nur so was denken?“
    Sie sieht ihn an.
    „Tut mir leid, Junge! Das sind die Medikamente. Die bringen mich ganz durcheinander.“

    15
    Miriam war auf dem Weg vom Haus ihrer Freundin zum Bus verschwunden. Ganze vierhundert Meter durch ein dichtbesiedeltes Wohngebiet, und keiner hatte etwas gesehen. Bis heute kann ich das nicht fassen. Bis heute kann ich das nicht begreifen
.
    Laila hatte sich erinnert, dass sie beide in der Woche zuvor von einem Mann angesprochen worden waren. Er habe nach einer Adresse gesucht und sie hatten ihm den Weg gezeigt
.
    Es gab verschiedene Thesen. Eine davon war, dass man Miriam verwechselt habe. Dass nicht meine Tochter, sondern eigentlich Laila entführt werden sollte. Das die Entführer sich an irgendeiner Autobahnraststätte, einem Bahnhof oder Flughafen von ihr trennen würden, sobald sie ihren Irrtum bemerkt hätten
.
    Dann fiel das Wort „Lösegeld“ und machte mir neue Hoffnung
.
    Er hebt den Kopf, schaut auf den dürftig beleuchteten Parkplatz. Vier Lampen, nur fünfzig Zentimeter hoch, mit spitzen Metallschirmen, beleuchten den Gehweg zum Wohnhaus. Die Schirme drücken das Licht zu Boden, legen helle, runde Flecke auf die Steinplatten.
    Er hatte gerechnet. Er hatte den ganzen Tag im Büro gesessen und gerechnet. Und gehofft! Er hatte gehofft, jemand würde sich melden und sein Vermögen einfordern. Er hatte errechnet, wie viel der Verkauf seiner Firma bringen könnte. Er rechnete den Restwert jedes einzelnen LKWs aus. Das Land, das Wohnhaus, die Auflösung von Wertpapieren, Sparbüchern und Rentenversicherungen. Er hatte nichts ausgelassen. Er war bereit gewesen, wenn sich jemand melden sollte, alles sofort hinzugeben.
    Am dritten Tag sah man auch den Polizisten an, dass sie an diese Möglichkeit nicht mehr glaubten. Die Staatsanwältin fragte nach, ob wir mit einer öffentlichen Fahndung einverstanden wären
.
    Miriams Foto erschien in den Zeitungen. Es gingen Hinweise ein, viele Hinweise, die alle ins Leere führten. Die nähere Umgebung wurde mit Hundestaffeln durchkämmt
.
    Marion bekam Beruhigungsmittel. Morgens wankte sie aus dem Bett ins Wohnzimmer. Dort lag sie den ganzen Tag auf dem Sofa und starrte in den Garten. Sie sprach kaum mit mir
.
    Er starrt das karierte Papier an. Es hatte Augenblicke gegeben, da hatte er sie gehasst. Er hatte sie wegen ihrer Hoffnungslosigkeit gehasst. Diese Hoffnungslosigkeit, mit der sie seine Zuversicht mit einem einzigen Augenaufschlag zerquetschen konnte.
    Eine Woche lang! Eine Woche verging, in der er sich im Büro beschäftigte, bis er dieses sinnlose Auf- und Abgehen in den Zimmern und über dem Hof nicht mehr ertragen konnte.
    Wenn Hoffnung schwindet, wird sie schwer. Das ist paradox, und doch, sie wird immer schwerer, bis sie untragbar ist. Und dann fällt sie einem aus den Händen und lässt eine Leere zurück, die sich ausbreitet wie ein Feuer, das Einen von innen auffrisst.
    Ich versuchte diese Leere mit Zahlenkolonnen und Geschäftigkeit zu füllen, wollte verhindern, dass sie meinen Verstand erreicht
.
    An diesem Tag befragten sie Marion
.
    Wann genau ich denn vom Büro hinüber ins Haus gekommen sei? Ob mich jemand im Büro gesehen habe? Ob ich, von ihr unbemerkt, weggefahren sein könnte?
    Sie befragten meine Söhne. Sie verhörten mich
.
    Sie sind ja wahnsinnig, habe ich sie angeschrien
.
    Wieder starrt er auf die unbeschriebenen Kästchen. Er hatte in der Woche zuvor alles getan, um nicht zu weinen.

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