Morgen ist der Tag nach gestern
Er schüttelt angewidert den Kopf. Mit frischem, klarem Wasser und einem sauberen Lappen arbeitet er nach. Er geht einen Schritt zurück und nickt. Ja, das war schon gut. Jetzt musste er das Fenster nur noch mit Zeitungspapier trocken reiben.
Horstmann war schuld. Er hatte ihm seine Baumwohnung weggenommen und später diesen blöden Job gegeben. Eigentlich hatte er ihn gar nicht ihm gegeben, sondern seiner Mutter. Frank könnte dann wenigstens ein bisschen was dazuverdienen, hatte er Mutter angeboten. Dieser Schleimer. Hatte ganz gönnerhaft getan und Mutter war natürlich darauf reingefallen. Sie hatte sich sogar bedankt. Unglaublich, sich zu bedanken für eine völlig unterbezahlte Arbeit.
Mit gleichmäßigen, kräftigen Bewegungen zieht er das Knäuel Zeitungspapier über das Glas. Die Sonne reflektiert und er muss das Fenster immer wieder in eine andere Position bringen um zu sehen, ob das Glas wirklich ohne Streifen ist.
Er hatte geschuftet für diesen Horstmann. Hatte die Räume gelüftet, Staub gewischt und einmal im Monat die Böden gemacht. Er hatte den Rasen gemäht, die Terrasse geschrubbt und Unkraut gejätet. Jeden Tag war für mindestens ein bis zwei Stunden was zu tun gewesen. Im Sommer hatte er sogar an den Wochenenden arbeiten müssen. War selbst an einem Sonntag brav hinüber gegangen und hatte den Rasensprenger angestellt. Er hatte sich die Stunden aufgeschrieben. Gut, im Winter waren es nur zehn bis zwanzig im Monat gewesen, aber dafür waren es im Sommer durchaus auch mal fünfzig Stunden geworden.
Man soll bei Sonnenschein eigentlich keine Fenster putzen. Er weiß das! Aber wann es abkühlt, wann es einen bedeckten, guten Tag zum Fensterputzen geben wird, ist nicht absehbar. Er kann doch nicht wochenlang in einem Haus mit völlig verdreckten Fenstern wohnen.
Er geht mit frischem Wasser hinüber ins Wohnzimmer und schiebt die Gardinen beiseite. Er nickt zufrieden. Vielleicht sollte er zuerst alle Fenster auf dieser Seite des Hauses machen. Die Morgensonne steht noch nicht so hoch.
Er hatte sich das genau ausgerechnet. Er hatte im Durchschnitt fünfunddreißig bis vierzig Stunden im Monat gearbeitet. Für lächerliche vierhundert Euro. Für lächerliche zehn Euro in der Stunde hatte er für Horstmann knechten müssen. Und Mutter war einverstanden gewesen.
Wieder schiebt er das Zeitungspapier über das gereinigte Glas. Dieses Fenster liegt nach Süden und zu dieser frühen Stunde noch im Schatten. Das geht deutlich besser. Er sieht sein Spiegelbild in der Scheibe und streicht sich über die Hüften. Du wirst träge und speckig, hatte Mutter vor einigen Tagen gesagt. Er tritt einen Schritt zurück und betrachtet sich genauer. Das kam nur von dem Bier. Und Bier trank er nur, wenn er sich aufregte. Da konnte er doch nichts dafür. Und jetzt auch noch diese blöden Zeugnisse.
Er schließt das Fenster und geht in Mutters Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch liegen ihre Tabletten und eine Frauenzeitschrift. Das Zimmer liegt im Halbdunkel. Mutter hat die Fensterläden nur einen Spaltbreit geöffnet. Auf dem breiten Bett liegt die rosefarbene, schwere Tagesdecke. Der Stuhl vor dem Frisiertisch ist mit einer Husse aus dem gleichem Stoff bezogen und auch die Store vor dem Fenster sind aus dem Material. Das Bett, der Schrank und die Frisierkommode sind alt. Blankpoliertes, dunkles Kirschholz. Alles hat Rundungen. Das Kopf- und Fußteil des Bettes, die Einfassung des Spiegels, selbst die Türen des Kleiderschranks sind sinnlich gebogen. Er fährt mit der Hand über die glatte Biegung am Ende des Bettes. Über dem Kopfteil hängt eine Madonna mit dem nackten, kleinen Jesuskind.
Er sollte nicht trödeln. In seinem Eimer plätschert das Wasser mit dem Schmutz der Wohnzimmerfenster. „Bääh!“ Er zieht den Mund breit. In der Küche holt er frisches, heißes Wasser.
Mutter war auf diesen Horstmann reingefallen. Aber das hatte er ihr verziehen. Der hatte sie reingelegt. Bis heute hatte sie das nicht verstanden.
Er geht zurück ins Schlafzimmer und schiebt die Fensterläden an die Außenmauer.
Weil der Horstmann ihn gezwungen hatte, fast täglich in seinem Haus zu sein, hatte er sich ein bisschen umgesehen. Das war doch nur natürlich. Ein Ort, an dem man täglich sein muss, den will man schließlich kennen! Und da war sie ihm in die Hände gefallen. Diese blöde Karte für die Videothek. Horstmann hatte sie einfach im Schreibtisch liegen lassen. Ganz offen! Für jeden zugänglich. Er hatte sie nicht
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