Morgen ist ein neuer Tag
Schreiben gedacht war, sah hinaus in den Schankraum, in den jetzt nacheinander die würdigen Herren des Stammtisches traten, umtänzelt von dem plötzlich freundlichen Wirt, und freute sich, daß er schon beim ersten Anlauf zu einem neuen Leben in wenigen Sekunden einen alten Bekannten würde sprechen können.
Er hörte Schritte im Apparat, seine Gestalt straffte sich – jetzt, dachte er freudig, jetzt kommt der Bierbaß Paul Ermanns, und er wird sagen: Na, alter Junge, wieder im Lande? Komm morgen mal zum Bau da und da hin …
Und da war schon eine Stimme … aber es war wieder die des Mädchens, und was sie sagte, begriff Fritz Bergschulte nicht sofort.
»Herr Ermann bedauert, nicht an den Apparat kommen zu können. Er kann sich auch an keinen Bergschulte erinnern.«
»Was?« Bergschulte stotterte und schüttelte immer wieder den Kopf, als sei er in eiskaltes Wasser gefallen. »Paul Ermann kann sich an keinen Bergschulte erinnern? Aber Fräulein, das ist unmöglich! Sie sind es doch: Ermann, Bau- und Stukkateurgeschäft?«
Um ehrlich zu sein, das Mädchen hatte ihrem Dienstherrn überhaupt keinen Namen genannt. Das schien ihr dieses Subjekt, das sich Bergschulte nannte, gar nicht wert zu sein. Es ist ja eine bekannte Tatsache, daß Domestiken oft noch abweisender sind als ihre Herrschaften.
»Allerdings. Seit vierzig Jahren sind wir diese Firma«, antwortete das Mädchen.
»Und ich habe bei Herrn Ermann über 12 Jahre gearbeitet. Ich habe bei ihm als junger Bursche angefangen, und wo es was Besonderes zu bauen gab, da kam er zu mir und sagte: Fritz, – dat is was für dich! Ran an die Bouletten und zeig, was ein guter Maurer ist! Und jetzt will er mich nicht mehr kennen? Das muß ein Irrtum sein, Fräulein …«
»Bedaure, – ich kann Ihnen nur wiederholen, was Herr Ermann mir sagte. Guten Abend.«
Es machte klick in der Hörmuschel. Das Mädchen hatte aufgelegt.
»Guten Abend«, sagte Bergschulte bitter. »Das nennen die Menschen guten Abend.« Er stieß die Tür der Telefonzelle auf und trat auf den Wirt zu, der hinter seinen blitzenden Hähnen stand und eine Batterie Krüge füllte. Den überquellenden Schaum strich der Wirt mit einer Zelluloidplatte ab und blickte Fritz fragend entgegen.
»Was vergessen?« fragte er. »Oder noch'n Pils?«
»Keins von beiden. – Wo kann ich hier billig schlafen?«
»Wohnen Sie nicht in Minden?« Der Wirt sah ihn kritisch, fast mißtrauisch an. »Auf der Walze, was?«
»Nicht ganz. Wohnte vor zwölf Jahren hier. Aber seitdem ist vieles anders geworden … sehr vieles … Ich will jetzt versuchen, hier wieder Fuß zu fassen. Und dazu brauche ich ein Zimmer.«
»Und dann ins Hotel? Lieber Mann, nehmen Se sich doch en möbliertes Zimmer. Gleich um de Ecke, bei der Witwe Bornemann, da können Se eins haben. Im Monat nur fünfundfünfzig Mark. Mit Licht. Und samstags können Se auch baden. Sagen Sie der Witwe Bornemann ruhig, daß ich Sie schicke.«
Fritz Bergschulte nickte. Fünfundfünfzig Mark, dachte er. Woher fünfundfünfzig Mark nehmen? Morgen gehe ich erst zu Ermann. Vielleicht weiß er, wer ich bin, wenn er mich sieht. Und dann werden wir weiter sehen – morgen und übermorgen ist ja auch noch ein Tag.
»Ich danke Ihnen«, sagte er und verließ die Wirtschaft. Der Wirt, der ihm nachblickte, schüttelte den Kopf und strich den Bierschaum von den Gläsern.
»Kein Mumm, die Leute von heute«, meinte er halblaut. Dann stellte er die Krüge auf ein Nickeltablett und balancierte sie zu dem Stammtisch, wo er mit Hallo und Lachen begrüßt wurde.
Fritz Bergschulte ging durch den Abend. Die hell erleuchteten Schaufenster der Geschäfte zeigten die Schätze, die sie zu bieten hatten. Frohe Menschen in leichten flotten Mänteln oder sportlichen Kleidern belebten die Gehsteige. Die Flut der Autos glitt auf weichen Rädern über den Asphalt. Überall Freude und Leben, überall Glück und Zufriedenheit. Wer wollte auch an einem Frühlingsabend mürrisch sein, an einem Abend, der das Herz so weit machte und so voll Sehnsucht nach irgendeiner glücklichen Erfüllung.
Der ernste, hagere Mann wand, sich durch die Menge der Spaziergänger und suchte die Hausnummer, die der Wirt ihm angegeben hatte. Vierunddreißig – da war sie! Hermine Bornemann.
Als er schellte, mußte er nicht lange warten und es summte der elektrische Öffner. Fritz drückte die Tür auf, die sich knirschend in den Angeln bewegte, und durch einen dunklen, langen Treppenflur tappend stolperte er
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