Morgen ist ein neuer Tag
Insel, auf der man allein mit den Liebsten seiner Tage war, allein und glücklich.
Ein Sonntag.
Fritz Bergschulte brach seine Träumereien ab und stand von der Bettkante auf. Sinnlos, diese Träume weiter zu träumen. Das Leben sah jetzt anders aus. Arbeit mußte er finden, ein Ziel mußte er sich setzen. Von der Spätheimkehrer-Fürsorge – wie das schon klang: Spätheimkehrer! Als wäre man jemand, der den Anschluß verpaßt hat, der ›zu spät‹ kommt – würde er dreihundert Mark erhalten, vom Sozialamt Anzug und Wäsche, aber dann war es aus mit der staatlichen Unterstützung, und er mußte sehen, wieder irgendwo auf einem Bau beschäftigt zu werden, um nicht länger der öffentlichen Wohlfahrt zur Last zu fallen.
Schlurfend ging er zum Fenster und öffnete es. Die frische Frühlings-Morgenluft strömte in das Zimmer und weckte seine Lebensgeister. Er breitete die Arme aus und atmete tief ein. Sein Brustkasten weitete sich. Er stützte sich mit beiden Händen auf das Fensterbrett und betrachtete den Wetterhahn auf dem Kirchturm, der sich im Wind träge drehte.
»Wir schaffen es, Fritz!« sagte er laut. »Wir lassen uns nicht unterkriegen – früher nicht, jetzt nicht und später nicht! Solange es eine so herrliche Sonne gibt, solange Blumen blühen, solange die Wolken am blauen Himmel ziehen wie weiße Schiffe, die hinaus in die Ferne treiben, so lange lohnt es sich zu kämpfen und ja zu dem zu sagen, was uns entgegenkommt.«
Plötzlich durchzuckte ihn ein verwegener Gedanke. Paul Ermann mußte ja heute – am Sonntag vormittag – zu Hause zu erreichen sein. Wenn es auch nicht schicklich war, seinen ehemaligen Chef am Sonntag in der Privatwohnung aufzusuchen – Fritz Bergschulte schob die Bedenken zur Seite. Man hatte in den vergangenen Jahren auch ihm viel Unschickliches zugemutet, man hatte auch ihn nicht gefragt, ob er dreimanndicke Bäume mit einer stumpfen Axt in der Taiga fällen wolle, oder ob es ihm passe, in den Bleibergwerken des Urals ohne Schutz das schädliche Material ans Tageslicht zu fördern. Was war dagegen ein gestörter Sonntag?
Er fühlte sich überhaupt noch zu sehr in den Rhythmus seiner Gefangenschaft eingespannt, er war noch zu sehr die Nr. L 398.562 des Lagers 492, Außenstelle 17, als daß er sich an die veränderten Verhältnisse in der Heimat schon hätte gewöhnen können. Er empfand, daß die Umstände, unter denen er zwölf Jahre hatte leben müssen, auch heute noch der Maßstab der Dinge in seinem Tagesablauf waren.
Diese erste Nacht in einem Federbett hatte er schlecht verbracht. Immer wieder war er aufgewacht, in Schweiß gebadet. Er hatte das Plumeau zurückgeschoben, hatte das Federunterbett herausgeräumt und sich auf die blanke Matratze gelegt. Aber auch die war ihm noch zu weich gewesen, er hatte sich schlaflos hin und her gewälzt, zornig auf seinen eigenen Körper, der nicht zur Ruhe kommen wollte. Wer jahrelang nur auf Holzpritschen oder auf der blanken Erde geschlafen hat, dem ist ein Federbett wie ein Schwitzkasten. Und so war er dann froh, als der Morgen heranrückte.
Sonntag. – Fritz Bergschulte schaute in den Spiegel, der etwas erblindet über dem Waschtisch hing. Rasieren brauche ich mich nicht, dachte er. Und einen Schlips kann ich nicht umbinden, weil ich noch keinen habe. Wohl aber einen Schal, einen handgewebten, den mir eine junge Bäuerin in Irkutsk schenkte, als ich einen Brunnen bei ihr aushob. Dieser Schal roch noch nach Machorka und billigem Wodka, den man heimlich von einigen russischen Posten bekommen hatte, wenn man ihnen die Gewehre geputzt und die verrosteten Läufe kurz vor dem Gewehrappell mit allen Kniffen deutscher Landser in Ordnung gebracht hatte. Was tat das auch? Er war so, wie er war, der Fritz Bergschulte, und der gute Paul Ermann sollte ihn auch so sehen.
Er kleidete sich an, wusch sich, versuchte sich zu kämmen, scheiterte aber damit an seinen kurzen Stoppeln und tappte dann die Treppen hinunter, trat hinaus auf die sonnenüberflutete Straße und blinzelte in den Himmel, der sich lichtblau über ihm wölbte.
Sonntäglich gekleidete Menschen gingen an ihm vorüber und strebten der Kirche zu. Jetzt fiel ihm auch deren Name wieder ein – St.-Jakobus-Kirche hieß sie, und er hatte vor achtzehn Jahren einmal an ihrem Schiff einen Pfeiler untermauert, der altersschwach sich gelockert hatte.
Die Hände in den Taschen schlenderte er in dem Schwarm der Kirchgänger mit und ließ sich durch die stillen Straßen treiben. An
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