Morgen ist ein neuer Tag
musterte es den Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf, dem zerschlissenen Anzug, den alten Schuhen, dem gegerbten Gesicht und den flackernden Augen.
»Ja?« sagte es abweisend. Und dann, peitschend, es dem Mann wie einen Schlag ins Gesicht schleudernd: »Können Sie das Schild am Tor nicht lesen? ›Betteln und hausieren verboten!‹ – Und dann noch am Sonntag. Frechheit!«
Fritz Bergschulte fühlte, wie er rot wurde. Er sah an sich herunter und verzieh dem Mädchen. Recht hatte es, – wer so aussah wie er, war auch ein Bettler. Nur bettle ich, dachte er bei sich, nicht um eine Scheibe Brot, sondern um mein Leben …
»Entschuldigen Sie«, sagte er leise. »Ich komme, um Herrn Ermann zu sprechen.«
»Ob das geht, weiß ich nicht.« Das Mädchen blieb in der Tür stehen und ließ den Mann nicht herein. »Der gnädige Herr frühstückt gerade.«
»Dann bestellen Sie ihm einen guten Appetit und sagen Sie ihm, ich warte …«
»Wie Sie wollen.« Das Mädchen zuckte die Achseln, warf die Tür vor seiner Nase zu und entfernte sich durch die breite Schiebetür im Inneren des Gebäudes.
Fritz Bergschulte lehnte sich gegen eine der Säulen und schaute durch die Glastür in das Foyer. Woher der Paul Ermann bloß den Geschmack hat, dachte er und freute sich, daß er schon wieder so sarkastisch denken konnte. Früher hatte Paul eine Vorliebe für Micky-Maus-Plastiken und Bronzebüsten von Goebbels, Göring und Hitler gehabt. Auch nackte Frauen waren seine Spezialität gewesen – und jetzt auf einmal diese gediegene Eleganz und stille Vornehmheit! Er hat bestimmt geheiratet, ganz bestimmt. Leute seines Schlages werden von der Frau erst zur Persönlichkeit erzogen.
Er lachte vor sich hin und war erheitert, als das Mädchen wieder erschien und die Tür auf schloß.
»Sie sollen kommen. Aber höchstens zehn Minuten, Herr Ermann muß noch in die Stadt. Treten Sie näher …«
Sie ging voran durch die Schiebetür und trat mit Bergschulte in einen Salon, dessen Mittelpunkt eine überdimensionale hellgrüne Clubgarnitur bildete. Fast eine ganze Wandseite wurde eingenommen von einem wuchtigen Bücherschrank im altdeutschen Stil, gefüllt mit der besten Literatur des In- und Auslandes.
Wieder mußte Fritz Bergschulte schmunzeln, ja sogar laut lachen, als er die Bücher sah. Mein Gott, dachte er, ob Paul Ermann die wirklich alle gelesen hat? Der Mann, der Zwanzig-Pfennig-Hefte verschlungen hatte, der heimlich Privatdrucke gesammelt und sich die neuesten Magazine aus Paris besorgt hatte? Und hier steht nun ein Hesse, ein Bergengruen, eine Lagerlöf, eine Mitchell, ein Blunck und sogar – Bergschulte staunte ehrlich – ein Hemingway … Toll, dieser Ermann, durchfuhr es ihn. Zwölf Jahre haben ihn verwandelt, wie sie mich verwandelten, – ihn aber zum wohlhabenden Bürger, mich zum Außenseiter der menschlichen Gesellschaft.
»Warum lachen Sie?« fragte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihm. Erschrocken fuhr Fritz Bergschulte herum und sah in das Gesicht eines dicken, jovialen, leicht ergrauten und sehr vornehmen Herrn, der schwarze Lackpantoffeln trug, einen seidenen Morgenmantel (dachte ich es doch, durchfuhr es Bergschulte), einen seidenen Schal um den fetten Hals und dicke Brillantringe an beiden Händen. Sein Scheitel war sehr gelichtet und wurde anscheinend jeden Morgen mit einem Haarwuchsmittel behandelt, denn die Haare waren noch feucht und glänzten.
Das ist er, Paul Ermann … Und wie er mich mustert, als müsse er jeden Augenblick auf die Klingel drücken und sagen:
»Setzen Sie den ungebetenen Ruhestörer sofort an die frische Luft!«
Fritz Bergschulte blickte ihn groß an und wartete auf ein Wort. Doch da Paul Ermann schwieg, nickte er ihm zu und sagte: »Kennst du mich nicht? Oder muß ich jetzt Sie zu Ihnen sagen?«
Der Bauunternehmer zog die Augenbrauen zusammen und musterte den Besucher schärfer. Doch er konnte aus diesem zerknitterten Gesicht und dem kahlen Schädel auch jetzt noch nichts herauslesen und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß wirklich nicht …« meinte er stockend. »Es kommt mir zwar vor, als habe ich Sie einmal gesehen – aber wo? Es muß lange her sein …«
»Immerhin runde zwölf Jahre, Paul …«
»Zwölf Jahre?« Ermann setzte sich in einen der dicken Sessel und winkte Fritz Bergschulte, dasselbe zu tun. Etwas befangen kam dieser der Aufforderung nach und fühlte sich in dem weichen Polster reichlich unwohl und fehl am Platze.
»Zwölf Jahre, sagen Sie?« meinte Ermann,
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