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Morgen ist ein neuer Tag

Morgen ist ein neuer Tag

Titel: Morgen ist ein neuer Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tochter?« herrschte er sie an. Und als er sah, wie sie blutrot im Gesicht wurde vor Wut und Scham zugleich, schrie er: »Ja! Sag doch die Wahrheit! Hinausgefeuert haben wir den Fritz! Auf die Straße gesetzt haben wir ihn, jawohl. Es wäre besser gewesen, du wärest wirklich in Rußland krepiert, haben wir ihm bedeutet!«
    »Nein!« Lina schrie auf und faßte den Vater am Arm. »Vater, das ist nicht wahr! Sag, daß es nicht wahr ist! Das könnt ihr nicht getan haben!«
    »Doch! Das haben wir getan! Und er hat uns zum Abschied ›Bande‹ genannt! Recht hatte er, tausendmal recht! Wir sind eine Bande, wir verdienen keine andere Bezeichnung. Ich kann dir nur raten, Lina, nimm deine Koffer und flüchte aus dieser Wohnung. Hier wirst du deines Lebens nie froh werden … nie …! Keiner weiß das so gut wie ich.« Er machte sich frei von ihr und lehnte sich schweratmend an die Wand. »Das mußte einmal gesagt werden. 35 Jahre lang lag es mir auf der Seele.«
    Lina stand wie versteinert im Zimmer und blickte stumm zwischen Vater und Mutter hin und her. Dann nahm sie ihren Mantel über den Arm, packte ihre Koffer an den Griffen und sah sich noch einmal um.
    »Und wo ist Fritz jetzt?« fragte sie tonlos.
    Franz Stahl hob beide Arme. »Weg! Wer weiß, wohin? Wir haben ihn nicht gefragt. Glaub mir, das tut mir jetzt alles schrecklich leid, Lina …«
    »Dir glaube ich, Vater –« Und dann mit einem Blick auf die Mutter: »Lebt wohl …«
    Die Tür fiel zu. Ihr Schritt verklang im Treppenhaus. Dann schlug unten die Haustür.
    Franz Stahl stand noch immer an der alten Stelle und starrte auf die Küchentür. Sein Atem ging stoßweise, in seinen Augen glänzte es verräterisch. Um den Mund zuckte es.
    »Sie ist weg«, stammelte er. »Wir haben keine Tochter mehr … So mußte es kommen … Das ist nun mein Leben …«
    Und plötzlich schrie er auf: »Jetzt mache ich Schluß! Das halte ich nicht aus! Das nicht …« Er riß mit einem raschen Griff das Fenster auf und wollte sich in die Tiefe stürzen. Aber Emma war im gleichen Augenblick bei ihm und hielt ihn am Rock fest. Keuchend, stumm, haßerfüllt rangen sie vor dem offenen Fenster miteinander, zerrten sich hin und her und jeder verkrallte sich in die Kleidung des anderen.
    Endlich gelang es Emma, ihren Mann vom Fenster wegzureißen und es zu schließen. Mit pfeifendem Atem standen sie sich dann gegenüber, immer noch bereit, dem Kampf von neuem aufzunehmen.
    »Das könnte dir so passen!« stieß sie hervor. In ihren Augen loderte es. »Kurzen Prozeß machen mit dir! Und was ist mit mir? Wer kümmert sich um mich? Soll ich betteln gehen? Was hinterläßt du mir? Eine lächerliche Schusterwerkstatt, die ich sofort zumachen kann. Das ist es ja, was ich dir schon immer zum Vorwurf mache. Wir haben hinten und vorne nichts, wir sind nichts. Willst du das nun noch bestreiten? Merk dir das, sogar der Selbstmord ist oft nur etwas für Leute, die ihn sich leisten können. Du nicht!«
    Stöhnend, gedemütigt, sank Franz Stahl auf seinen Stuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Schluchzen erschütterte den alten Körper, bitteres Weinen löste einen Strom von Tränen.
    Unten auf der Straße stand Lina neben ihren Koffern und überlegte, wohin sie gehen sollte. Freundinnen hatte sie seit ihrem Umzug nach Vlotho hier in Minden keine mehr. Bekannte? Sollte sie denen ein Schauspiel geben, eine wunderbare Gelegenheit, Klatsch herum tragen zu können? In ein Hotel gehen? Ja, für eine Nacht – und was dann? Sie hatte 200 Mark in der Tasche, und auf ihrem Privatkonto lagen 2.500 Mark. Das würde eine Zeitlang reichen, davon konnte man ein halbes Jahr leben … und in einem halben Jahr würde sie Fritz gefunden haben, würde das Leben wieder ganz anders aussehen.
    Ein halbes Jahr ist eine Ewigkeit, wenn man warten muß.
    Ein halbes Jahr ist aber auch eine Gnadenfrist für den Suchenden.
    Ein halbes Jahr …
    Sie nahm ihre Koffer und schleppte sie bis zu einer Straßenkreuzung. Dort stand sie länger als eine halbe Stunde, bis ein Taxi vorbeikam und sich heranwinken ließ.
    »Kasernenstraße«, sagte sie. »Nummer 15. Fahren Sie bitte langsam, mir ist nicht ganz gut.«
    Und dann fuhr sie durch die hellen Straßen des abendlichen Minden. Leicht gekleidete frohe Menschen spazierten durch die laue Nacht. Liebespaare suchten eng umschlungen stillere Gassen auf oder wandten sich den Grünanlagen zu.
    Lina lehnte sich in die Polster zurück und schloß die Augen. Nichts mehr davon sehen,

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