Morgen komm ich später rein
Zeit standen die Typisten mit ihrer rein ausführenden Tätigkeit, am unteren Ende der sich neu formierenden Angestelltenpyramide.
Mechanisierung und Rationalisierung waren in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhudnerts nicht nur Begriffe aus der industriellen
Produktion, sie kennzeichneten auch die Veränderung der Büroarbeit. Zwischen 1907 und 1925 hatte sich im Deutschen Reich die
Zahl der Angestellten knapp verdoppelt. In den wachsenden Verwaltungen der Großbetriebe setzte sich mit dem Einsatz von Büromaschinen
die Aufgliederung in Abteilungen fort. Neben der mechanischen Buchhaltung oder der Telefonzentrale gehörte hierzu vor allem
ein zentralisierter Schreibdienst. Vornehmlich Frauen nahmen diese neue Erwerbsmöglichkeit in der Großstadt wahr. Die einseitige
und laute Arbeit im Schreibsaal führte häufig zu Beeinträchtigungen der Gesundheit wie Nervosität, Schwindel, Erschöpfung,
Sehnenscheidenentzündungen und Schwerhörigkeit. Auch Klagen über den enormen Arbeitsdruck findet man in zeitgenössischen Berichten
– quasi die Vorläufer des modernen Burn-out-Syndroms.
In den fünfziger Jahren wurden bald auch in kleineren Büros verstärkt moderne Geräte wie Buchungsmaschinen, Diktiergeräte
oder Vervielfältiger eingesetzt, die die schon recht verbreiteten Schreib und Rechenmaschinen ergänzten. Neben den typischen
Büromaschinen erfuhren auch die kleinen Hilfsmittel der täglichen Büroarbeit immer größere Verbreitung. Hefter, Locher und
Anspitzer wurden zu Massenartikeln. Dies veränderte die Arbeitsabläufe und |55| -strukturen dramatisch. Das Schlagwort der damaligen Zeit – nicht nur im Bürobereich – war »Rationalisierung«. Dabei wurde
an Erfahrungen aus Großbüros der zwanziger Jahre angeknüpft, die man auf kleinere Betriebe übertrug. Ziel war es, Arbeitsabläufe
zu optimieren und die Arbeitskräfte möglichst »rationell« einzusetzen. Ein Mittel hierzu war die Zergliederung der Arbeitsschritte,
sodass die Arbeitsteilung immer weiter vorangetrieben wurde. Die Arbeit im Büro sollte wie die Abläufe in der Produktion als
Fließarbeit organisiert werden.
Heute definiert der Verband Büro-, Sitz- und Objektmöbel (bso) den Begriff Büro als »abgeschlossene Räume mit speziellen Einrichtungen
und geeigneten Arbeitsmitteln zur Durchführung von Verwaltungstätigkeiten allgemeiner Form«. Dieser klassischen Beschreibung
hafte »der Aspekt des Statischen und Unproduktiven an«, so der Verband selbstkritisch, der das Klischee weiter ausführt: »Im
Gegensatz zur Fabrik, in der Wertschöpfungsprozesse ablaufen, wird im Büro nur verwaltet, um Ordnung und Überblick zu behalten.«
In Wirklichkeit habe sich aber eine gewaltige Veränderung in der Bürowelt vollzogen. Sie werde immer mehr »zur markt- und
kundenorientierten Dienstleistungs- und Ideenwerkstatt«. Der bso beschreibt die zeitgenössische Art der Büroarbeit folgendermaßen:
»In erfolgreichen Unternehmen werden Teams gebildet, deren Ziel es ist, neue innovative Produkte zu entwickeln, immer wieder
aufs Neue jeden Bereich des Unternehmens zu durchleuchten, Chancen der Kunden- und Produktivitätsorientierung zu nutzen, die
Qualität der Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens zu steigern und jede Form der Verschwendung zu bekämpfen. Hierfür
steht der ständige Informations- und Erfahrungsaustausch – in kommunikationsförderlichen Räumen – im Vordergrund.«
Die im Team erarbeiteten Konzepte müssten jedoch auch konkretisiert werden. Hierfür würden neben den kommunikativen, offenen
Bereichen auch »konzentrationsförderliche« Arbeitsräume benötigt, in denen der Einzelne ungestört »Detaillierungsarbeit leisten
kann«. Kurz: Die heutigen Büroformen und -funktionen seien »vielschichtig«.
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|56| Das hierarchische und das verspielte Büro
Sehr häufig anzutreffen ist diese Vielfalt allerdings noch nicht. Vorbild des in Deutschland heute am weitesten verbreiteten
Bürokonzeptes, des Einzelbüros, sind die im 16. Jahrhundert in Florenz gebauten Uffizien, von denen sich das englische Wort
für Büro ableitet: »office«. Typisch für diese Raumaufteilung sind auch fast 500 Jahre später Mittelflure, an denen sich geschlossene
Büroräume mit einem oder mehreren Arbeitsplätzen reihen. Solche Zellenbüros haben unter Arbeitsforschern keinen besonders
guten Ruf, weil sie Isolation und Bürokratie fördern, lange Wege provozieren, die
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