Morgen letzter Tag!
neben Konstantinopel die zentrale Weltmetropole der westlichen Zivilisation. Einige Generationen später hat Rom noch einige Tausend Einwohner, und ein Großteil des zivilisatorischen Wissens (Architektur, Philosophie, Staatskunst etc.) ist verloren. Es wird erst in der Renaissance, fast 1000 Jahre später, wiederentdeckt werden.
Die Zombie-Zukunft stellt also nicht unbedingt einen Endpunkt dar. Obwohl das Ende wie immer möglich ist (siehe Kapitel » Weltuntergang– wann klappt’s denn endlich?«)– ein totaler Atomkrieg zum Beispiel wäre immer noch machbar und könnte die Biosphäre dergestalt veröden, dass menschliches Leben von der Erde verschwindet. In unserer hochkomplexen Zivilisation könnte sogar schon ein regional begrenzter Atomkrieg ausreichen, um das Klima so zu verändern, dass durch das darauffolgende Chaos keiner übrig bleibt, um die Toten zu beweinen.
Ebenso würde die Vampir-Utopie keinen vollkommenen Endpunkt darstellen. Nur einen Endpunkt dessen, was wir bislang als » menschlich« bezeichnet haben. Sollte es tatsächlich gelingen, durch den Einsatz von Nano-, Neuro- und Biotechnologien die Träume der Menschheit nach Allmacht und ewiger Jugend zu realisieren, dann würden wir damit den Bereich des » Transhumanen« betreten. Eine neue Stufe der Komplexität in der Evolution, in der allerdings die bisherigen Paradigmen des nur » humanen« Miteinanders keine Bedeutung mehr hätten.
Die beiden vorläufigen » Endpunkte« der historischen Aggregatzustände der Menschheit, die durch die Zombies und die Vampire bezeichnet werden, sind intensiv verbunden mit den Grundregeln der Biologie. In einem Fall mit einem evolutiven » Aufstieg« hin zu einer größeren Komplexität, im anderen Fall mit einem » Abstieg« hin zu einer geringeren Komplexität. Aufstieg und Abstieg sind deswegen in Anführungszeichen gesetzt, weil das Begriffe sind, die innerhalb des Mechanismus, der Evolution genannt wird, keine Bedeutung haben. Die Bedeutung verleihen nur wir ihnen, und das auch nur von unserer derzeitigen Position in der Zeit aus. Es sind relative Begriffe, die eine Hierarchie beschreiben, die es so nur aus unserem Blickwinkel gibt. In einer Zombie-Zukunft würden die Zombies die Vergangenheit nicht vermissen, weil eines ihrer Wesensmerkmale ist, dass sie sich nicht an die Vergangenheit erinnern können. Und auch die Kultur vergisst schnell. Schon die nächste Generation nach dem totalen Zusammenbruch würde nichts anderes kennen als die verhunzte Welt, in der sie lebt. Und wenn man in eine bestimmte Umwelt hineingeboren worden ist, dann war diese Umwelt für die eigene Wahrnehmung » schon immer so«. Also würde niemand etwas vermissen. Nur die verbliebenen » letzten Menschen« in den Zombie-Filmen, die, die sich noch nicht an das neue Leben angepasst haben, die vermissen die Vergangenheit, als es noch Duschen gab und richtiges Essen.
Durch dieses Verwiesensein auf die Biologie stellt sich in beiden möglichen – wie sagt man das? – Radikalzukünften die Sinnfrage. Warum noch weitermachen? In seinem Roman »Die Straße« lotet Cormac McCarthy das aus, was ich als den Boden der Zombie-Zukunft bezeichnen würde. Ein Vater geht mit seinem Sohn durch ein völlig verwüstetes Amerika, ständig auf der Hut vor Kannibalen, ständig auf der Suche nach Schutz, Trinkwasser und Nahrung. Alle anderen Erwartungen an das Leben sind absurd geworden. Eigentlich wollen beide nur sterben. Doch der Vater bleibt für seinen Sohn am Leben, der Sohn wiederum für den geliebten Vater. Die Welt außerhalb dieser Beziehung ist ein Albtraum. Und da Vater und Sohn nur diese wechselseitige Liebe im Dasein hält, wird auch diese Liebe letztlich zur Absurdität. Zu einer anachronistischen Absurdität in einer Welt, die auf die biologische Grundkonstante des Überlebens reduziert ist. Das Leben, so wie wir es verstehen, fängt eben erst dann an, wenn das Überleben kein Problem mehr oder zumindest nicht mehr das vorrangige Problem darstellt. Ist man aber einzig auf das Problem des Überlebens fixiert und jegliche Zivilisationshoffung erodiert, dann wird das Leben wieder zu einem rein materiellen Problem. Die Ausschließlichkeit des Materiellen wiederum bedeutet, dass man die meisten der höheren Funktionen, zu denen unser Geist fähig ist, nicht zu nutzen braucht. Ja, mehr noch. Ihre Nutzung stellt eine Gefahr für das Überleben dar. Solidarität, Liebe, Genuss – all das stellt in der Welt, die McCarthy beschreibt, eine
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