Morgen trauert Oxford
Beziehung verwickelten Menschen kein Mitspracherecht einräumte, schob er einfach beiseite. Diskussionen führten lediglich zu Streitereien und unangenehmen Gefühlen, dachte er. Ohne allzu detailliertes Wissen konnte der Mensch einfach glücklicher sein. Und so schätzte er es, sein Leben in unterschiedlichen Bereichen zu leben. Mit diesem Gedanken kettete er sein Fahrrad an das eiserne Geländer eines kleinen Hauses in einer wohlhabend wirkenden Straße.
Das Haus stand in der Mitte einer Reihe sehr ähnlicher Häuser, wo alle Farben wie frisch angestrichen glänzten, die Vorgärten einen gepflegten Eindruck machten und die Autos sauber gewaschen vor den Türen standen. Neben der Eingangstür kletterte eine Clematis an einem Holzspalier empor; rote Geranien und blaue und weiße Lobelien entfalteten ihre Farbenpracht in Terrakotta-Töpfen. Liam warf einen bewundernden Blick auf die hübsche Reinlichkeit der Straße und ertappte sich dabei, wie er argwöhnisch nach rechts und links spähte, ehe er mit seinem Schlüssel die Eingangstür aufschloss.
Kaum hatte er das Haus betreten, als er von einem knurrenden, hellbraun bepelzten Muskelberg begrüßt wurde – falls man so etwas überhaupt Begrüßung nennen konnte.
»Platz, Ludo!«, befahl er und wartete, bis sich Zähne und Klauen ein Stück zurückgezogen hatten, ehe er rief: »Olivia? Bist du zu Hause?«
»Muss ich dich wieder retten?« Hinter dem Hund tauchte eine hoch gewachsene, schlanke Frau mit hellem Haar auf, das sie nach hinten gekämmt und in einen Knoten geschlungen trug. »Ab ins Körbchen, Ludo!«, rief sie dem Hund zu. »Liam, du bist ja tatsächlich mal früh dran.« Sie klang erfreut. »Das mit Ludo tut mir Leid«, entschuldigte sie sich, »aber Brendan ist für ein paar Tage nach London gefahren und hat mich gebeten, auf ihn aufzupassen.«
»Dass Brendan dein Vorgesetzter ist, kann doch nicht im Ernst bedeuten, dass er jedes Mal seinen blöden Köter bei dir ablädt, wenn er mal wegmuss«, knurrte Liam. Er nieste.
»Ich schließe ihn in die Küche ein, solange du hier bist«, schlug sie vor. »Aber eine Frau in unserem Beruf muss schließlich zusehen, wie sie ihre Karriere vorwärts bringt.« Sie nahm ihm die Jacke ab und begleitete ihn in ihr bequemes, ziemlich voll gestopftes Wohnzimmer. Im Kamin flackerte bereits ein hübsches Feuer. Man fühlt sich hier willkommen, dachte er. Er genoss das Durcheinander von Büchern und Papier. Eine aufgeräumte Wohnung erschien ihm immer klinisch und abweisend.
Sie band seine Krawatte ab. »Wie lange kannst du bleiben?«, fragte sie.
»Morgen früh um zehn muss ich ein Tutorium halten.« Er nieste erneut. »Blöder Hund!«, schimpfte er, rückte näher ans Feuer und half ihr beim Ablegen einiger Kleidungsstücke.
»Wir sind angekommen, Angel«, sagte Dime zum wiederholten Mal. »Willst du es dir nicht ansehen?«
Er redete, als ob die Stadt ihm persönlich gehörte, und er bot sie ihr an, wie er eine Tüte Bonbons angeboten hätte: Die Türme, Zinnen, Kuppeln und Bäume waren in bläulichen Nebel verpackt wie in Geschenkpapier, betupft vom rötlichen Licht der untergehenden Sonne, und breiteten sich Bewunderung heischend zu ihren Füßen aus.
»Meine Füße tun weh«, sagte Angel.
»Das kommt daher, dass du müde bist«, erklärte Dime. Er ließ sich neben ihr nieder. Mit besorgtem Gesicht schob er ihr den blassen Haarvorhang aus der Stirn und versuchte, ihr in die Augen zu sehen. »Es war aber auch ein langer Marsch für ein dünnes, kleines Ding wie dich. Dabei habe ich angeboten, uns einen fahrbaren Untersatz zu besorgen«, sagte er wehmütig.
»Wir alle haben gewisse Dinge aufgeben müssen«, mischte Gren sich ein. »Du weißt genau, dass du keine Autos mehr klauen darfst.«
»Heute wäre es mal sinnvoll gewesen«, brummte Coffin, »wo uns doch der Lieferwagen verreckt ist.«
»Keine Sorge«, meinte Greg, »den kriege ich schon wieder hin.«
»Was musstest du eigentlich aufgeben?«, erkundigte sich Dime bei Coffin.
»Die Sauferei und das Prügeln«, sagte Coffin. »Aber was machen wir mit Angel?«
»Mit einer Tasse Tee und einem Käsebrötchen kriegen wir sie schnell wieder auf Vordermann«, sagte Greg. »Sobald Ant zurück ist, bringen wir sie in unsere neue Bleibe und holen etwas zu Essen. Fünf Minuten Ruhe, und sie ist wieder okay. Stimmt’s, Angel?«
Angel drehte sich kurz um, nickte zustimmend und zog sich sofort wieder hinter die leere Mauer ihres Gesichts zurück. Eines Tages
Weitere Kostenlose Bücher