Morgen trauert Oxford
maßlos, Kate. Sie ist eine außergewöhnlich gut aussehende Frau. Hochgewachsen, schlank, blond. Zieht sich gut an. Elegant, würde ich sagen. Was den Rest angeht, muss ich dich bitten, dir dein eigenes Urteil über Dr. Blacket zu bilden.«
»Mit anderen Worten: Ich soll ins Leicester College gehen, mich bei Frau Doktor melden lassen und abwarten, ob sie mich mit ihren exquisiten Perlenzähnen beißt?«
Andrew ignorierte die Spitze. »Am besten wäre es, wenn du von jemandem eingeführt würdest. Vielleicht kann dir dein Freund weiterhelfen.« Andrew brachte den Namen von Kates Liebhaber beim besten Willen nicht über die Lippen.
»Stimmt. Ich könnte Liam fragen. Apropos: Wie geht es Isabel?«
»Sie ist so süß wie immer.«
»Ich sehe dich dann beim Konzert. Tschüs, Andrew. Und vielen Dank.«
Liam Ross. Sein Fach war die Musik, aber er verbrachte so viel Zeit im College, dass ihm die Spezialistin auf dem Gebiet der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts sicher schon über den Weg gelaufen war. Vermutlich gehörte dieses Fach zu den Lieblingsthemen beim gemeinsamen Mittagstisch der Dozenten. Liam hatte Kate zwar erzählt, dass sie beim Essen über kaputte Heizungen und Fußballergebnisse sprachen wie alle Normalsterblichen, aber Kate glaubte ihm kein Wort.
Sie sah auf die Uhr. Um diese Zeit dürfte Liam freihaben und sich in seinem Büro im College aufhalten. Sie wählte seine Nummer. Bereits beim zweiten Läuten nahm er ab.
»Ross.«
Er war beschäftigt. Er arbeitete. Er wollte nicht unterbrochen werden. Alles das schwang in dieser einzigen Silbe mit. Kate schaltete auf ihre freundlichste, einschmeichelndste Stimme um.
»Hallo Liam, hier ist Kate.«
»Ja?«
Sie sah ihn geradezu vor sich, wie er am Schreibtisch saß und seine langen Gliedmaßen auf dem rotbraunen Kelim-Teppich ausbreitete. Die Finger der rechten Hand lagen wahrscheinlich an der Stelle der Seite, die er gerade gelesen hatte, als sie ihn bei der Arbeit störte.
»Ich brauche deine Hilfe. Es geht um mein nächstes Buch.«
Sie hörte ihn seufzen. »Ich bin Musiker, falls du das vergessen haben solltest. Ich arbeite mit Noten, nicht mit Worten.«
»Ich weiß«, erwiderte sie knapp. »Aber du könntest mir trotzdem helfen.« Ihn um Hilfe bei ihrem Buch zu bitten hieß, dass sie ihm einen tiefen Einblick in ihr intimstes Innenleben bot. Etwas, das er mit ihr teilen durfte. Er sollte es nicht so abtun. Mit Andrew war es in dieser Beziehung wirklich erheblich einfacher gewesen.
»Genau genommen brauche ich Hintergrundinformationen über eine Person, eine Frau, die im neunzehnten Jahrhundert in Oxford gelebt hat«, fuhr sie fort.
»Versuch es doch mal in der Bodleian Bibliothek«, sagte er abweisend. Kate glaubte zu hören, wie am anderen Ende der Leitung eine Seite umgeblättert wurde.
»Habe ich schon. Ich suche nach etwas Neuerem. Etwas, das bisher nicht veröffentlicht ist.« Beachte mich wenigstens, hätte sie am liebsten in die Muschel geschimpft. Speise mich nicht mit Antworten ab, die ich mir selbst geben könnte! Leg endlich das Buch weg und konzentriere dich wenigstens ein paar Minuten lang auf mich!
»Nicht mein Arbeitsgebiet.«
»Habe ich mich etwa mit Arbeit rausgeredet, als du mich angerufen hast, um dich über das miserable Management in dem Theater zu beschweren, wo du deine Oper unterbringen wolltest? Habe ich dir vielleicht erklärt, es wäre sowieso egal, weil ihr ohnehin alle nur blutige Amateure seid? Also hör mir endlich zu und hilf mir.«
»Weiter.«
»Ich habe gehört, dass es bei euch am College eine Dozentin gibt, die Briefe und Tagebücher von Maria Susanna Taylor in ihrem Besitz hat.«
»Von wem?«
Kate seufzte auf. »Charles Dickens pflegte eine jahrelange Freundschaft, möglicherweise auch eine Liebesbeziehung mit einer Schauspielerin namens Ellen Ternan, besser bekannt als Nelly. Und diese Nelly hatte eine Schwester. Sie hieß Maria und war mit einem gewissen Rowland verheiratet, seines Zeichens Braumeister in Oxford.« Allmählich bekam sie Übung darin, den Romanhintergrund mit wenigen Worten wiederzugeben; dabei hoffte sie inständig, später in der Lage zu sein, den Textumfang für ihr Buch auf über hunderttausend Worte zu erweitern. Sie wusste, dass sie Liam längst von Maria und Nelly erzählt hatte. Vielleicht würde er sich ja dieses Mal ein paar Tage länger erinnern – wenigstens bis zum nächsten Mal.
Liam legte eine weitere Pause ein. »Jetzt, wo du es sagst: Ich glaube, ich habe da
Weitere Kostenlose Bücher