Morgen trauert Oxford
bekommen wir dich schon da hin. Schließlich haben wir es dir versprochen.«
Angel nickte und zog sich in ihre eigene bleiche, böse Welt zurück.
Der Lieferwagen hatte auf der Umgehungsstraße den Geist aufgegeben. Gren hatte die Motorhaube geöffnet, einen Blick auf den Motor geworfen, die Haube zugeknallt und war schließlich mit seinem langen, dünnen Körper unter dem Auto verschwunden, um es von unten zu inspizieren.
»Die Antriebswelle ist hinüber«, sagte er, als er wieder auftauchte. »Wir müssen versuchen, irgendwo eine gebrauchte zu finden.«
»Schaffen wir es noch bis Leicester?«, hatte Angel gefragt.
»Na klar. Sobald eine neue Antriebswelle drin ist, schaffen wir es mit dem Wagen überallhin.« Sie hatten das Auto auf einem Parkplatz stehen lassen müssen, ihre persönliche Habe in jede erreichbare Plastiktüte gestopft und waren zu Fuß in die Stadt aufgebrochen.
Ant riss sich von der Aussicht los und betrachtete Angel. Irgendwann einmal hatte sie ein anderes Leben geführt und eine andere Identität besessen. Doch darüber wusste er nichts. Auch Angel konnte sich nicht erinnern. Zumindest jetzt noch nicht. Es würde Zeit und Geduld brauchen, damit ihre Erinnerungen zurückkehrten. Nie würde Ant den Tag vergessen, an dem sie Angel gefunden hatten. Und auch nicht das Gefühl, das sie in ihm hervorgerufen hatte.
Sie hatten schon oft darüber gesprochen, dass sie eine Frau brauchten. Vor allem Dime empfand diese Notwendigkeit. Dabei stand ihnen der Sinn nicht nach einer Putzfrau, sondern eher nach einer Art gemeinsamer Gespielin, für die sie sorgen und die sie beschützen wollten, und die sich im Gegenzug um sie kümmerte. Sie suchten jemanden, der ihre Wäsche in die Wäscherei brachte und der ihnen das Essen aufwärmte, wenn sie abends zurückkamen. Jemanden, der ihnen ein wirkliches Zuhause bot.
»Eigentlich sucht ihr eine Mutter«, hatte Coffin gesagt, als sie das letzte Mal über dieses Thema sprachen. Und im Grunde hatte er Recht. Sie wollten eine Mutter und eine Frau. Zwar hatte Angel in keiner Weise dem Anforderungsprofil entsprochen, aber sie waren alle übereingekommen, dass sie die Richtige sein musste. Im Augenblick allerdings war sie weder Frau noch Mutter. Allenfalls ein Kind. Oder ihr Maskottchen.
Das einzig Zusammenhängende, das sie geäußert hatte und seither immer wiederholte, war ihr Wunsch, irgendwie nach Leicester zu gelangen. Sie schien sich nicht sicher zu sein, warum sie darauf bestand, aber sie wusste auf jeden Fall genau, wohin sie wollte. Und jetzt saßen sie in Oxford fest, bis sie den Lieferwagen reparieren konnten.
»Alles okay, Angel?«, erkundigte Ant sich mit tröstender Stimme.
Sie schenkte ihm ein blässliches Lächeln. »Geht schon«, sagte sie. »Wirklich, es geht schon.«
Sie wussten beide, dass es nicht stimmte. Doch Ant und die Familie bemühten sich nach Kräften, Angel wieder in die wirkliche Welt zurückzuführen. Und bis es so weit war, würden sie ihre abendliche Pizza mit ihr teilen.
»Gut«, meinte Ant schließlich, »ich glaube, wir können jetzt in unsere neue Wohnung einziehen.«
KAPITEL 3
Den Pförtnern und anderen Bediensteten des College obliegt es, Eingänge, Höfe und Gelände des College freizuhalten von Bettlern, schmutzig oder nachlässig gekleideten Personen, Straßenmusikern sowie Personen, deren Erscheinung und Benehmen zu wünschen übrig lässt; ferner haben sie anstößiges, unverschämtes und störendes Verhalten zu unterbinden.
Aus den Statuten des Leicester College
C
offin war mit dem Frühstück an der Reihe. Sein Haar war noch feucht und kringelte sich tief in die Stirn, doch seine dicklichen Finger erwiesen sich als ebenso geschickt im Umgang mit Geschirr wie im Umgang mit Flöten. Die Familie saß am Tisch im Esszimmer. Vor ihnen standen große Tassen und Müslischüsseln. Coffin hatte lange nach zusammenpassendem Geschirr gesucht, weil er wusste, wie gerne Ant so etwas mochte, doch die Tassen waren alle unterschiedlich, und die Schüsseln wiesen zwei verschiedene Muster auf. Eine war sogar leicht angeschlagen.
»Unter die Teekanne gehört ein Untersetzer«, sagte Ant.
Angel verbarg ihr Gesicht hinter ihrer Teetasse. Ant inspizierte die Tischrunde. Alle hatten ein Bad genommen und waren sauber. Im Keller befand sich gerade die dritte Ladung Wäsche in der Waschmaschine. Da sie auch einen Wäschetrockner vorgefunden hatten, waren die beiden ersten Maschinenladungen bereits trocken und säuberlich gefaltet in
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