Morgen trauert Oxford
nachdem er sie für fähig erachtet hatte, seine Ausführungen zu verstehen, fuhr er fort: »Zwischen uns herrscht Liebe. Die meisten Leute gebrauchen dieses Wort ohne nachzudenken. Aber wenn man wie wir zusammen gelebt und zusammen gearbeitet hat, weiß man, was es in Wirklichkeit bedeutet. Wir wissen, wie man Regeln befolgt, und wir teilen alles. Wenn wir uns eines Tages eine Frau nehmen, wird es funktionieren, weil wir immer unsere Regeln befolgen. Und weil wir uns gegenseitig lieben, werden wir diese Frau in unsere Liebe einschließen. So wird es sein.«
»Und was ist mit mir?«, fragte Angel.
»Wir lieben dich«, erklärte Coffin. »Du gehörst zu uns. Du darfst uns um alles bitten.«
»Und dann«, endete Angel, »als ich mich gerade an das Haus in Devon gewöhnt hatte und dachte, dass ich endlich wieder irgendwo hingehöre, reisten wir weiter. Damals wussten sie bereits, dass ich nicht zu ihnen gehören konnte, ehe ich in Leicester das gefunden und getan hätte, was mir meine innere Stimme befahl.«
»Sie suchten Olivia Blacket?«, warf Kate ein.
»Im Leicester College«, bestätigte Angel.
»Aber warum? Wussten Sie, warum Sie nach ihr suchten?«
»Ja, das wusste ich genau. Ich musste sie töten.«
»Und warum?«
»Wegen Daisy.«
KAPITEL 9
Lebensweise, Betragen, Moral und Lernfortschritte der Studenten sind ständig einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen; alles, was der Korrektur bedarf, muss umgehend verbessert werden, und jeglicher Exzess hat eine gebührende Bestrafung nach sich zu ziehen.
Aus den Statuten des Leicester College
A
ber warum?«, fragte Kate. »Wer ist Daisy?«
»Daisy ist meine Kleine. Mein Kind. Sie war mein Kind.« Langsam liefen zwei Tränen über Angels Gesicht. Sie schien es nicht einmal zu bemerken.
In dieser Angelegenheit geht es tatsächlich nur um Babys und kleine Kinder, dachte Kate und wünschte, sie hätte mehr Erfahrung in diesen Dingen. Was hätte sie sagen sollen? Im Augenblick fiel ihr nichts Besseres ein, als Angel mitfühlend anzulächeln, ihr ein weiteres Glas Wein einzuschenken und ihr ein Päckchen Taschentücher zu reichen. Der Unterschied zwischen einem neidvollen Blick in den Kinderwagen fremder Menschen und der Sorge um ein eigenes Kind war gewaltig.
»Erzählen Sie mir von Daisy«, sagte sie schließlich.
»Sie war zehn Monate und drei Wochen alt. Als ich sie das letzte Mal sah, saß sie in ihrem Buggy und trug ihr weißes Baumwollhäubchen. Sie liebte das Häubchen und wollte es immer anhaben, wenn wir einkaufen gingen. Auch im Winter. Damals war Winter, und es war ziemlich kalt. Nicht so kalt wie hier. Das gibt es in London nicht.«
»Wohnten Sie in London?«
»Ja«, sagte Angel.
»Und wann war das?«
»Anfang des Jahres.«
»Sind Sie ganz sicher, dass Sie mir alles erzählen wollen?« Kate befürchtete, selbst kaum in der Lage zu sein, die Geschichte zu ertragen. Brendans Beschreibung von Olivias Tod war schon schlimm genug gewesen. Aber Olivia durfte wenigstens mehr als dreißig Jahre lang ihr Leben genießen, ehe sie starb. Zehn Monate und drei Wochen hingegen waren erschreckend wenig.
»Wir waren auf dem Weg zum Spielplatz«, fuhr Angel langsam fort. »Daran erinnere ich mich genau. Seltsam, nicht wahr? An manche Dinge erinnert man sich, andere dagegen sind wie weggeblasen.«
»Muss merkwürdig sein«, sagte Kate und trank ihr Weinglas in einem Zug leer.
»Das Auto kam aus dem Nichts«, erzählte Angel weiter. »Gerade noch überquerten wir die Straße, und alles war ganz normal. Ich sprach mit Daisy; ich versprach ihr, sie auf die Schaukel zu setzen und sie anzustoßen – und plötzlich war alles vorbei. Das ganze Leben veränderte sich mit einem Schlag. Nichts würde je wieder wie früher sein. Ein einziger Augenblick genügte. Hinterher kann man es kaum glauben. Man meint, dass irgendetwas falsch gelaufen ist. Wenn man nur das Band zurückspulen oder die Zeit zurückdrehen könnte, dann würde beim nächsten Abspielen alles anders. Solche Gedanken kommen mir jede Nacht, wenn ich versuche einzuschlafen. Immer habe ich die gleiche Szene vor Augen, und immer denke ich, ich könnte sie vielleicht verändern.« Sie nahm ein Taschentuch und wischte sich Augen und Wangen. »Manchmal strenge ich mich wirklich an. Dann glaube ich, ich brauche nur ins Nebenzimmer zu gehen, und da liegt Daisy. Aber es ist nicht Daisy. Es ist nur eine Puppe. Und das Weinen, das ich gehört habe, stammt von Coffins Flöte.«
Eine Weile saßen sie
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