Morgen trauert Oxford
Zeit lernte, Grens Markenzeichen.
Er brachte ihr zunächst einen Laufwagen, später dann eine Krücke und beobachtete stolz, wie sie auf ihrem Weg vom Bett zum Fenster täglich sicherer wurde und sich schließlich die Treppe hinunter- und zur Haustür hinauswagte.
Sie fragte ihn nie, wo er die Sachen herhatte und wer die Kontaktleute waren. Und Gren erwähnte diese Dinge mit keinem Wort.
Coffin saß in der Zimmerecke und spielte Flöte. Es war ein schnelles, fröhliches Stück, das sie nicht kannte. Manchmal blickte er auf, sah, wie sie sich abmühte, und lächelte ihr ermutigend zu. Er war relativ klein, hatte ein noch jungenhaftes Gesicht und jede Menge braune Kringellocken.
»Bist du wirklich Ire, Coffin?«, fragte sie ihn und überlegte, ob er antworten oder bloß ein neues Lied spielen würde.
»Mütterlicherseits.«
»Woher stammt sie?«
»Kilburn«, sagte Coffin. »Aber sie ist tot.« Er wählte eine andere Flöte aus seiner Sammlung und begann »The Rocky Road to Dublin« zu spielen. Über den Flötenklängen schlief sie ein.
Als Dime und Ant das nächste Mal bei ihr waren, sagte Dime: »Sie möchte wissen, wo wir sind.«
»Und was hast du geantwortet?« Ants Stimme klang ausdruckslos.
»Ich habe ihr gesagt, dass wir in Devon sind«, antwortete Dime. »Aber sie meinte, das wüsste sie schon.«
»Aha, und jetzt fühlst du dich besser und möchtest mehr erfahren«, wandte sich Ant an Angel.
»Richtig«, sagte Angel.
»Wir befinden uns in einer Scheune neben einem großen, alten Haus, das angeblich aus der Zeit von Queen Anne stammt. Der Besitzer ist selten zu Hause. Wenn er nicht da ist, wohnen wir drüben im Hauptgebäude und passen darauf auf. Er hat allerdings keine Ahnung, dass er unbezahlte Haussitter beherbergt. Wenn er, wie im Augenblick, zu Hause ist, verhalten wir uns möglichst unauffällig.«
Ant war kaum vom Hintergrund zu unterscheiden.
»Seit fünf Tagen ist er jetzt hier«, fuhr Ant fort. »Wir wissen aber, dass er sich nie länger als eine Woche zu Hause aufhält. Wahrscheinlich können wir in einigen Tagen wieder nach drüben ziehen und alle ein Bad nehmen.« Er bedachte Dime mit einem Seitenblick. »Wenn der Besitzer das nächste Mal wegfährt, darfst du mit uns einziehen. Du musst allerdings versprechen, dich als Familienmitglied nach unseren Regeln zu richten.«
»Himmel, Arsch und Zwirn«, rief Angel, »heißt das etwa, ihr seid so eine Art professioneller Erster-Klasse-Hausbesetzer?«
»Nicht fluchen«, sagte Dime. Es klang wie eine gut auswendig gelernte Lektion. »Regel Nummer eins: nicht fluchen.«
»Und keine Blasphemie«, ergänzte Ant.
»Verzeihung«, entschuldigte sich Angel.
»Wenn man doch einmal geflucht hat, muss man sagen: Verzeihung, Ant«, plapperte Dime.
»Verzeihung, Ant.«
Und so bekam Angel ihre erste Lektion.
Erst Gren beantwortete ihre Frage. »Sieh uns einfach als Aufpasser an«, sagte er. »Wir beaufsichtigen ihre Häuser, wenn sie nicht da sind.«
»Sie? Ihre Häuser?«
»Das lernst du schon noch«, beschwichtigte Gren.
Coffin sagte nichts. Stattdessen zückte er seine Flöte und spielte ihr etwas vor. An der Melodie konnte Angel erkennen, wie es um ihn bestellt war und was er von bestimmten Dingen hielt.
Einige Zeit später erläuterte Ant ihr die Pläne, die er mit ihr hatte.
»Wir dürfen uns keine flüchtigen Liebschaften leisten«, erklärte Dime. Offensichtlich wiederholte er Ants Worte. »Man darf Frauen nicht benutzen, sondern muss sie respektieren.«
»Wo er Recht hat, hat er Recht«, bemerkte Angel.
»Aber eines Tages dürfen wir heiraten«, ließ Coffin sich in einem seltenen Anfall von Redseligkeit vernehmen.
Angel musste lächeln. »Ihr alle? Gleichzeitig?«
»Wir brauchen nicht unbedingt mehrere Frauen«, sagte Gren. »Das würde mit Sicherheit in die Hose gehen.«
»Vier Männer, eine Frau«, erklärte Ant. »Denk mal darüber nach. Es macht wirklich Sinn.«
»Eigentlich gehörst du mir«, erklärte Dime. »Ich habe dich gefunden.«
»Was ich finde, bleibt stets mein, Verlierer müssen traurig sein«, deklamierte Coffin. »Sie gehört uns allen.« Nie zuvor hatte Angel Coffin so viel sagen hören.
»So funktioniert es nun einmal«, bestätigte Ant. »Wir vier sind eine Familie und gehören schon ziemlich lang zusammen. Mindestens ein Jahr. Wir fügen uns alle den gleichen Regeln. Wir üben uns in Disziplin.« Er hielt einen Augenblick inne. Angel hatte den Eindruck, dass er sich ein Urteil über sie bildete. Erst
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