Morgen trauert Oxford
ganz bestimmt keine Gedanken machen wollte.
Verflixt, sie wusste viel zu wenig über Mutterschaft und das Gefühl, Kinder zu bekommen und zu verlieren. Sie konnte es sich lediglich vorstellen, aber eigene Erfahrung besaß sie nicht. Doch wozu war sie Schriftstellerin? Schließlich verdiente sie ihr Geld damit, sich in die Köpfe anderer Leute zu versetzen und ihre Leser zu überzeugen, dass es genau so passiert war.
Allerdings musste sie sich wohl oder übel daran erinnern, dass sie sich im richtigen Leben schon mehrfach in Menschen getäuscht hatte – gefährlich getäuscht hatte. Zwei Mal, um genau zu sein.
Schieb es beiseite! Vergiss es! Vergiss ihn! Hol dir ein Blatt Papier und einen Bleistift! Mach eine Liste! Denk über alle Möglichkeiten nach! Schreib auf, was passiert ist! Bring es in eine Ordnung – und vor allem unter Kontrolle! Die Spitze des Drehbleistifts bohrte sich in das Papier und brach ab. Kate klickte ein paar Millimeter Miene heraus und begann von neuem mit ihrer Liste.
Angel finden. Aber wie?
Mit Liam sprechen. Herausfinden, woher er wusste, dass Kate am Nachmittag bei Olivia gewesen war. Fragen, was Olivia ihm und was er Olivia bedeutete. Herausfinden, wie lange er dich betrogen hat. Bring ihn um! Das war ein ziemlich mieser Scherz, Kate!
Brendan Adams besuchen. Wen oder was hat er gesehen, als er Ludo in Olivias Büro abgab? Und wie weit würde er gehen, um sich die Ternan-Manuskripte zu verschaffen?
ANGEL FINDEN! Sie weiß mehr als jeder andere.
Ant, Gren, Dime, Coffin. Drei von ihnen waren gestern Nachmittag am Leicester College. Sie sprechen zwar bestimmt nicht mit dir, führen dich aber vielleicht zu Angel. Dime und Coffin scheinen nicht besonders viel versprechend, aber Gren und Ant leben wohl zeitweise auch in der wirklichen Welt.
Kate überflog die Liste. Sie war voller Befehle. Die meisten von ihnen würde Kate sicher nicht befolgen können. »Angel finden« klang zwar leicht – aber wo sollte sie beginnen?
Hatte Angel irgendeine Andeutung gemacht, wo sie wohnte? Nein. Kate wusste nur, dass es sich um ein besetztes Haus handelte. Und als Angel am vergangenen Nachmittag von der Familie abgeholt worden war, hatten sie sich nach Osten gewandt. Wahrscheinlich lag das Haus irgendwo jenseits der Cowley Road. Kate seufzte. Ein riesiges Gebiet.
Ant, Gren, Dime, Coffin. Natürlich könnte sie durch die Innenstadt laufen und alle Bettler und Straßenmusiker unter die Lupe nehmen. Aber was sollte sie tun, wenn sie einen von ihnen auftrieb? Nun, das war wohl klar: natürlich aus dem Bauch heraus entscheiden, wie sie es eigentlich immer machte.
Ant. Vielleicht könnte sie auch zu dem Laden in der George Street gehen. Wenn er sich immer noch dort aufhielt, würde sich das möglicherweise als die beste Spur herausstellen.
Brendan Adams. Sie würde ihn anrufen und fragen, ob sie ihn in Garsington besuchen und mit ihm reden dürfte. Vielleicht sollte sie ihm eine Flasche Whisky mitbringen. Wenn sie bei ihm zu Hause mit ihm sprach und sich viel Zeit nahm, würde er sich vielleicht an irgendein kleines Detail erinnern, das zur endgültigen Klarheit beitragen konnte. Oder er sagte etwas, das ihn überführte.
So weit, so gut. Und dann Liam. Jetzt war Kate genau wieder da angekommen, wo sie begonnen hatte. Sicher kannte Liam einige wichtige Einzelheiten, aber er war der letzte Mensch, mit dem sie im Moment reden wollte. Und doch würde sie es tun müssen. Was hatte Paul noch gesagt? Sie musste sehr umsichtig vorgehen, denn von dieser Seite schien ihr Gefahr zu drohen. Paul allerdings hatte einen Hang dazu, übervorsichtig zu sein. Und außerdem besaß sie immer noch das Handy. Wenn sie Hilfe brauchte, würde sie eben anrufen.
Vergiss Liam für eine Weile! Verbanne ihn aus deinem Kopf! Such die Taschentücher! Wasch dir das Gesicht mit kaltem Wasser! Reiß dich zusammen! Zurück zu Papier und Bleistift! Eine neue Liste.
Brendan Adams anrufen. Termin für einen Abstecher nach Garsington ausmachen.
Innenstadt nach Mitgliedern der Familie absuchen. Wenigstens einen von ihnen dazu bringen, zu verraten, wo Angel sich aufhält.
Den Laden aufsuchen, in den Ant eingebrochen ist.
Liam anrufen und nach Olivia fragen.
Kate starrte ihre Liste an. Dann strich sie den vierten Punkt. Wieder brach die Bleistiftspitze ab.
Hör endlich auf, darüber nachzudenken!, befahl sie sich. Du kannst die Vergangenheit nicht mehr ändern. Geh einfach vorwärts. Doch sie wusste, dass sie nicht vorwärts gehen konnte,
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