Morgen trauert Oxford
gehen wollte, kam ein Anruf für sie«, plapperte er. »Jemand hat nach Angel gefragt, aber sie war nicht da.«
»Waren Sie das auch?« Gren warf Kate einen prüfenden Blick zu. »Woher haben Sie unsere Telefonnummer?«
Hinter Kates Rücken näherten sich Flötentöne. Das Lied hieß »Easy and Free«.
»Ich will doch nur mit ihr reden«, wiederholte Kate. »Ich möchte mich selbst davon überzeugen, dass es ihr gut geht. Sonst gar nichts. Sie ist schließlich meine Freundin.«
Sie selbst fand, dass sie eher verzweifelt als glaubwürdig klang.
»Na gut«, sagte eine neue Stimme, die von links kam, »Sie können uns ganz leicht beweisen, ob Sie wirklich Angels Freundin sind: Wie lautet der richtige Name des Mädchens? Das müssten Sie schließlich wissen, nicht wahr?«
Neben Kate war der junge Mann in schwarzen Jeans und ebensolchem T-Shirt aufgetaucht. Selbst bei diesem kalten Wetter trug er keine Jacke. Das also war Ant.
»Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor«, fuhr er fort. »Sie sagen uns, wie Angel wirklich heißt, und wir lassen Sie dafür mit ihr reden.«
Würde sie bluffen können? Irgendwie hatte Kate den Verdacht, dass Ant in diesem Spiel der Gewitztere war und ihre Finte sofort erkennen würde. Doch plötzlich kam ihr eine Idee.
»Ich weiß, wer sie ist.« Sie starrte trotzig in die Runde.
»Na, dann schießen Sie mal los«, forderte Ant sie sanft auf.
»Sie ist die Mutter von Daisy.«
Jetzt war sie wieder im Vorteil.
»Was soll das denn bedeuten?«, forschte Ant nach.
»Lassen Sie mich mit Angel sprechen, dann verrate ich es Ihnen.«
»Wir bleiben aber dabei«, sagte Gren zu den anderen. »Auf keinen Fall redet sie allein mit Angel.«
»Lassen wir also zu, dass sie sich mit Angel trifft?«, fragte Ant.
»Das werden Sie wohl oder übel tun müssen, wenn Sie mehr über Daisy erfahren wollen«, konterte Kate kühn.
»Sie lügen doch das Blaue vom Himmel herunter«, knirschte Ant. »Aber eines sage ich Ihnen: Mit Leuten wie Ihnen sind wir bisher immer fertig geworden. Wie heißen Sie überhaupt?«
»Ivory. Kate Ivory.«
»Gut, Kate Ivory. Kommen Sie mit in den Laden. Dime, du holst Angel.«
Sofort verschwand Dime in einer schmalen Gasse. Kate konnte nicht erkennen, welche Richtung er am Ende des Sträßchens einschlug.
Gren stand auf, händigte Ant das erbettelte Geld aus, stülpte einen Deckel auf die Sammeldose und verstaute das Pappschild irgendwo unter seinem Hemd. Coffin weckte den Hund, der ihm über den Platz gefolgt war, zauste ihm die Ohren und erklärte ihm, dass er jetzt nach Hause gehen müsse. Auch er gab sein Geld an Ant weiter. Dann stopfte er Hut und Flöte in seinen Rucksack und baute sich so dicht neben Kate auf, als betrachte er sich als ihr Leibwächter. Zusammen gingen sie hinten um das Kino herum und folgten einer Gasse, die zum rückwärtigen Eingang des Ladens führte.
Das Hinterzimmer stellte sich als ausgesprochen ordentlich heraus – fast hatte Kate so etwas erwartet. Die Ware war in säuberlich gestapelten Kartons verstaut. Nirgendwo konnte Kate ungespülte Kaffeetassen oder benutztes Butterbrotpapier entdecken. Der Mann imponierte ihr.
»Kommen Sie mit in den Laden«, forderte Ant sie auf. »Ich möchte Ihretwegen keinen Umsatz einbüßen.« Er stieß die Tür auf. Alle suchten sich einen Platz, setzten sich und starrten Kate an.
»Dauert es lang?«, erkundigte sich Kate. »Hat sie es weit?«
»Nicht besonders weit«, gab Ant ausdruckslos zurück und wandte sich zwei Kundinnen zu, die soeben den Laden betreten hatten.
»Ganz schön schlau«, bemerkte Kate, nachdem die beiden Frauen gegangen waren. »Eine völlig neue Art der Hausbesetzung.«
»So neu nun auch wieder nicht«, sagte Ant. »Aber nicht besonders häufig. Irgendwann kommen uns die Behörden auf die Schliche. Sie brauchen allerdings ein paar Tage, ehe sie uns rausschmeißen können, und bis dahin sind wir längst über alle Berge. Man muss nur wirklich schnell sein. Einsteigen, die Ware heranschaffen, Geld machen und wieder verschwinden. So funktioniert es.«
In ein paar Jahren, dachte Kate, trüge er vermutlich einen schicken Anzug, führe ein teures Auto und würde sich in nichts von anderen erfolgreichen Männern unterscheiden, die mit An- und Verkauf ein Vermögen verdienten.
»Sie haben Angel sehr gern, nicht wahr?«, wandte sie sich an Coffin, der seine Flöte hervorgeholt hatte und sie unentschlossen zwischen den Händen rollte, als wüsste er nicht recht, was er jetzt spielen solle.
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