Morgen trauert Oxford
ehe sie nicht in Erfahrung gebracht hatte, wer Olivias Mörder war.
Sie nahm den Telefonhörer ab und wollte gerade wählen, als ihr etwas einfiel. Angel war die Letzte gewesen, die von diesem Apparat aus telefoniert hatte. Sie hatte die Familie angerufen und erklärt, es gehe ihr gut, wirklich gut, und man brauche sich keine Sorgen um sie zu machen. Sie würde die Nacht bei einer Freundin verbringen und am nächsten Morgen zurück sein. Kate drückte den Knopf für die Wahlwiederholung.
Sie hörte es klingeln. Dabei stellte sie sich vor, wie Angel und vielleicht Dime vor dem Telefon standen und sich überlegten, ob sie abheben sollten oder nicht. Es klingelte sechs Mal, sieben Mal.
»Hallo.« Eine langsame, bedächtige Männerstimme. Nach Angels Beschreibung konnte es sich nur um Dime handeln.
»Dime?«
»Ja?« Er klang verblüfft, was kein Wunder war.
»Ich bin eine Freundin von Angel. Könnte ich sie bitte sprechen?« Kate versuchte, fröhlich und zuversichtlich, dabei jedoch gebieterisch, aber keinesfalls bedrohlich zu klingen, und lieferte ein Meisterstück der Schauspielkunst.
»Nein. Sie ist nicht da.«
»Wissen Sie, wo ich sie finden kann?«
»Sie schläft bei einer Freundin und kommt erst im Laufe des Morgens zurück.« Mist, das hätte sie Dime auch sagen können.
»Vielleicht rufe ich später noch mal an«, sagte Kate. »Könnten Sie mir die Adresse geben?« Sie hielt den Atem an.
»Keine Ahnung«, sagte Dime. »Ich kenne die Adresse nicht.«
»Wo sind Sie denn jetzt gerade?«, fragte Kate geduldig.
»Ich stehe neben dem Telefon«, kam die hilfreiche Antwort.
Kate versuchte es erneut. »Sind Sie im Flur, Dime?«
»Ja.«
»Prima. Warum legen Sie nicht einfach den Hörer neben das Telefon, öffnen die Eingangstür und sehen draußen nach? Der Name der Straße steht mit schwarzen Buchstaben auf einem weißen Schild irgendwo an der Straßenecke. Und die Hausnummer befindet sich an der Eingangstür.«
»Ich bin doch nicht blöd«, entrüstete sich Dime. »Das weiß ich alles.«
»Könnten Sie dann nicht bitte nachsehen gehen und es mir sagen?«
Kate musste eine geraume Weile warten. Sie hoffte inständig, dass in der Zwischenzeit kein anderes Familienmitglied in den Flur kam und den Hörer auflegte. Irgendwann vernahm sie Schritte; Dime nahm den Hörer wieder auf und rief: »Hallo?«
»Hallo Dime. Und?«
»Die Hausnummer ist zwei-und-fünf«, sagte er.
»Und die Straße?«
»Der Name fängt mit einem Dime an.«
»Wie bitte?«
»Mit D wie Dime«, erklärte Dime.
»Und weiter?«
Kate konnte geradezu hören, wie Dime nachdachte. »Weiß nicht.«
So ein Mist! Eigentlich hätte sie sich denken können, dass Dime Probleme mit dem Lesen hatte. Wahrscheinlich konnte sie sich die nächste Frage ebenso gut sparen, aber sie versuchte es trotzdem. »Könnten Sie denn bitte auf dem Telefon nachsehen, wie Ihre Nummer lautet?« Vermutlich käme ihm gar nicht erst in den Sinn, sich zu fragen, wie sie ohne die Nummer hatte anrufen können.
»Geht nicht«, sagte Dime. »Es sind zu viele.« Er klang unangenehm berührt. »Wer sind Sie eigentlich?«, erkundigte er sich reichlich verspätet. »Sind Sie die Frau, die ihr die Puppe gegeben hat?«
»Nein, das bin ich nicht. Was für eine Puppe? Meinen Sie die, die sie gestern Nachmittag in Oxford bei sich hatte?«
»Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte Dime. »Auf Wiederhören.«
Kate schnitt dem Hörer ein Gesicht und legte auf.
Was hatte sie erfahren? Angel wohnte in Nummer zweiundfünfzig – vielleicht auch fünfundzwanzig – einer vermutlich im Osten Oxfords liegenden Straße, die mit einem D begann. Möglicherweise befand sich das D auch mitten im Straßennamen, oder der Name hörte mit diesem Buchstaben auf – bei einem Analphabeten konnte man da nie ganz sicher sein. Doch selbst wenn sie das Haus fand, gab es keine Garantie dafür, dass Angel je dorthin zurückkehren würde.
Kate konsultierte ihre Liste. Wenn sie jetzt Brendan Adams anrief, würde Angels Nummer aus dem Telefonspeicher gelöscht. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr das neue Handy ein. Angels Telefonnummer war sicher ein paar Einheiten Wert.
»Hallo Brendan. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie besuchen käme? Ich möchte mit Ihnen reden.«
»Über Olivia?«
»Ja, falls es Ihnen nicht zu viel ausmacht. Ich habe das Bedürfnis, über sie zu sprechen, und zwar mit jemandem, der sie gekannt hat.«
»Ein Mord ist ein so einschneidendes Erlebnis, dass wir anscheinend alle auf
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