Morgen trauert Oxford
die Straßen von Ost-Oxford nach Angel absuchte.
»Aber zurück zu den Puppen«, fuhr Kate fort.
»Scheiß auf die Puppen. Was spielen sie schon für eine Rolle? Wenn wir die Frau finden, bin ich aus dem Schneider. Und auch, wenn sie noch auf freiem Fuß ist, können sie mich danach doch nicht weiter verdächtigen, oder?«
Kate konnte keine Sekunde länger mit diesem Mann in einem Zimmer bleiben. Sie hatte genug über die Beziehung zwischen ihm und Olivia erfahren, um die Existenz dieser toten, traurigen Puppen im Schrank erklären zu können. Sie konnte gehen.
Nur Angel und die Familie musste sie noch finden. Doch wenn es ihr gelang, wäre das der Freibrief für Liam – und dieser Gedanke gefiel ihr inzwischen gar nicht mehr. Nur allzu gern würde sie ihn so lange wie möglich schmoren sehen.
»Ich gehe«, sagte sie und stand auf.
Er erhob sich ebenfalls und begleitete sie zur Tür. Seine Manieren ließen wirklich nichts zu wünschen übrig. »Ich rufe dich an, wenn Gras über die Sache gewachsen ist. Nächste Woche oder so. Vielleicht könnten wir mal wieder in ein Konzert gehen.«
»Nein danke. Auf Wiedersehen, Liam.«
Auch seine Stimme war schön. Eine Stimme, die jeden überzeugen konnte, dass er ein sensibler, zuvorkommender Mann war. Aber jetzt wusste Kate, dass sie diese Stimme nie wieder hören wollte.
Kate trat aus dem Torweg in die Broad Street. Einerseits verspürte sie einen gewissen Stolz, weil sie die Szene mit Liam durchgestanden hatte, ohne klein beizugeben und ohne sich auf Zugeständnisse bezüglich eines Wiedersehens einzulassen, doch andererseits drückte es ihr fast das Herz ab, dass das, was sie für die Liebe ihres Lebens gehalten hatte, auf so schmähliche Weise enden musste.
Das war’s, dachte sie. Es ist vorbei. Nie mehr. Was dir bleibt, ist deine Arbeit.
Doch zunächst musste sie Angel und die Familie finden.
Sie überquerte die Broad Street und ging die Catte Street entlang zum Radcliffe Square. Ein Stück voraus sah sie einen großen Mann, dessen Kleidung ihn in der dunklen Nacht fast unsichtbar machte. Sein Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Natürlich war es schwierig, bei derart schwacher Beleuchtung jemanden zu erkennen, doch sein Gang kam ihr bekannt vor. Sie war fast sicher, dass es sich um Ant handelte.
Er ging eilig in Richtung High Street. Kate legte einen Schritt zu, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Seine Beine waren ein gutes Stück länger als ihre; außerdem trug sie ausnahmsweise an diesem Tag unpraktische Schuhe mit hohen Absätzen und engen Riemchen. Sie versuchte zu rennen, doch mehr als einen trippelnden Laufschritt brachte sie dank ihres kurzen, engen Rocks und der dummen Schuhe nicht zustande. Sie sehnte sich nach einer Jeans und Sportschuhen. Mit vernünftigen Joggingschuhen an den Füßen würde sie es mit fast jedem aufnehmen.
Wahrscheinlich hätte sie ihn am Beginn der High Street schnell aus den Augen verloren, wenn nicht eine Gruppe Studenten aus der Straße gekommen wäre und den engen Durchgang zum Platz blockiert hätte. Sie trugen Dinnerjackets und schienen großen Gefallen an sich zu finden. Laut und fröhlich nahmen sie den Weg in seiner gesamten Breite ein. Nie und nimmer hätten sie einen Fremden ihre Reihe durchbrechen lassen. Der Mann blieb stehen, drehte sich um und sah Kate auf sich zutrippeln. Er erkannte sie im selben Augenblick wie sie ihn. Es war tatsächlich Ant.
Sehr abrupt wandte er sich nach rechts, um die Straße vor der Kirche St. Mary zu überqueren. Es gab noch einen anderen Weg zur High Street durch die Brasenose Lane; den hatte er offenbar im Sinn. Doch dann entdeckte er den Polizisten.
Kate hatte keine Ahnung, warum ausgerechnet an dieser Stelle ein Polizist stand. Vermutlich wartete er auf Autofahrer, die verbotenerweise eine Abkürzung über den Platz nahmen. Aber Ant fühlte sich anscheinend verfolgt. Wenn er durch die Brasenose Lane laufen und über die Turl Street entkommen wollte, hätte er an diesem Polizisten vorübergemusst. Da das Tor auf der gegenüberliegenden Seite des Schools Quadrangle normalerweise verschlossen war, blieb ihm nur eine Alternative: Er lief zur Radcliffe Camera zurück, sprang leichtfüßig über das Geländer und lief über den Rasen auf die Treppe des Haupteingangs zu. Kate sah ihm nach und fragte sich, ob er wusste, dass sich zwischen ihm und den unterirdischen Bücherregalen gerade einmal gut zwanzig Zentimeter Grasnarbe befanden. Bewundernd registrierte sie die
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