Morgen trauert Oxford
geht?«
Er hob eine wohlgeformte Augenbraue. Alles, was er tat, erschien ihr plötzlich genau durchdacht und eingeübt.
»Ich nehme an, du kennst die Neuigkeiten über Olivia und willst mich dazu befragen. Anschließend wirst du wütend werden, mich anbrüllen und mir an den Kopf werfen, dass du mich nie im Leben wieder sehen willst. Möchtest du nicht doch zuvor lieber einen Drink?«
Kate schüttelte den Kopf. Er stand auf, schenkte sich selbst einen Whisky ein und setzte sich Kate gegenüber in den zweiten Sessel.
»Gut getippt«, sagte sie. »Bis auf die Tatsache, dass ich über das Stadium des Wutausbruchs längst hinaus bin. Und was ein Wiedersehen angeht – das ist mir ziemlich egal. Obwohl ich im Großen und Ganzen lieber darauf verzichten würde.«
»Und worum geht es dann jetzt genau?«
»Ich möchte ein paar Dinge zurechtrücken. Und außerdem wüsste ich gern, wer Olivia umgebracht hat.«
»Nachdem du allein gekommen bist und trotz geschlossener Tür ruhig hier sitzt, nehme ich an, du hältst nicht mich für den Mörder. Oder wartet etwa dein kleiner Polizistenfreund heimlich draußen darauf, dass ich dir alles gestehe?«
Kate zügelte ihre Wut. In dieser Situation war Ruhe ihr einziger Vorteil. »Ich versuche herauszufinden, was es mit der Puppe auf sich hat«, sagte sie.
Sie sah ihm am Gesicht an, dass er genau wusste, wovon sie sprach. Doch er würde noch einen ordentlichen Schubs brauchen, ehe er mit der Wahrheit herausrückte. Inzwischen erkannte Kate die Anzeichen, wenn Liam mit einer Lüge aufwarten wollte, und fragte sich, ob sie selbst ebenso leicht zu durchschauen war.
»Ich weiß von der Puppe, die am betreffenden Nachmittag auf ihrem Schreibtisch saß, und von den mindestens weiteren zehn in einem Schrank in ihrem Schlafzimmer«, sagte sie. »Alle waren Babypuppen, die sie wohl über einen gewissen Zeitraum hinweg gekauft hatte, und alle trugen ein weißes Häubchen mit Spitzenbändern. Was ich allerdings nicht weiß: Wofür brauchte sie die Puppen? Klar ist, dass sie von Babys geradezu besessen war. Und zwar in einem Maß, die ihre wissenschaftliche Arbeit beeinträchtigte; sie las die Ternan-Manuskripte unter völlig falschen Vorzeichen. Aber warum? Und dann weiß ich noch, dass sie Daisy auf dem Gewissen hatte, auch wenn es unabsichtlich geschah.«
Liam wich ihrem Blick aus. Er starrte den Teppich an, als sähe er das Muster zum ersten Mal und wäre entschlossen, es für alle Zeit in sein Gedächtnis zu brennen.
»Alles hat in Edinburgh angefangen«, sagte er schließlich. Seine Augen hafteten immer noch an dem Teppich. »Ich schrieb an meiner Doktorarbeit, sie hatte gerade ihre erste Stelle an der Uni angetreten. Du hast sicher bemerkt, dass sie ein paar Jahre älter ist als ich. Ich habe mich in sie verliebt, wie übrigens alle anderen auch. Sie hatte wirklich Stil, so groß, blond, schlank und toll angezogen, wie sie immer auftrat. Sie sah eigentlich immer aus, als käme sie geradewegs aus einem sehr teuren Modehaus.«
»Verstehe«, warf Kate ein und setzte sich sehr gerade, um das Beste aus ihren eins fünfundsechzig zu machen.
»Als sie mir ihre Aufmerksamkeit zuwandte, fühlte ich mich geschmeichelt. Unsere Beziehung dauerte, solange ich dort blieb.« Mit seiner gerunzelten Stirn sah er umwerfend attraktiv aus.
»Du willst sagen, ihr wart ein Paar.«
»Ja, ich denke schon. Aber unterbrich mich nicht, sonst schaffe ich das nicht. Es fällt mir nicht leicht, über diese Dinge zu reden, Kate. Ich bin nicht völlig gefühlskalt, weißt du? Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich promovierte und bewarb mich auf diese Stelle in Oxford. Als ich sie tatsächlich bekam, war Olivia stinksauer. Edinburgh und Oxford – das ist nicht gerade ein Katzensprung. Wir machten Schluss. Wir waren kein Paar mehr, wenn du das lieber hörst. Ab und zu schrieben wir uns, und manchmal telefonierten wir. Von Zeit zu Zeit trafen wir uns in London. Aber irgendwie war die Luft raus.« Er unterbrach sich. Am liebsten wäre ihm, dachte Kate, wenn an diesem Punkt alles vorbei gewesen wäre.
»Vor ein paar Jahren bewarb sie sich im Leicester College. Mit Erfolg. Sie begann ihre Lehrtätigkeit letztes Jahr im September, zog nach Oxford, und mit uns begann alles von vorn. Du weißt ja, wie so etwas passiert.«
Olivia war eben immer noch groß, blond, schlank und toll angezogen. Oh ja, Kate wusste, wie so etwas passiert. Allerdings hätte sie nie gedacht, dass sie Liam Ross gegenüber jemals so
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