Morgen wirst du sterben
Probezeit.
Sie packte direkt ihre Sachen und ging. Er hörte ihre roten Stiefel im Treppenhaus, klackerdiklacker, die Schritte entfernten sich, dann war sie weg.
Er rief Vivian an und verabredete sich für den Abend mit ihr. Danach rannte er eine halbe Stunde im Büro auf und ab, raufte sich die Haare, schwitzte und heulte sogar ein bisschen. Das hatte er nicht mehr getan, seit er zwölf war.
Um fünf Uhr klingelte es an der Tür. Yasmin, dachte er alarmiert. Sie ist noch mal zurückgekommen und will mir eine Szene machen. Es war aber Marcel.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte er besorgt, als er Philipps bleiches Gesicht sah. »Bist du krank?«
»Ja.« Philipp ließ sich auf seinen Stuhl fallen und schloss die Augen.
»Fieber?« Marcel legte eine Hand auf die Stirn. »Fühlt sich eigentlich nicht so an. Aber du siehst total schlecht aus.«
»Danke.«
»Nee, im Ernst. Soll ich dich zum Arzt bringen?«
»Ein Arzt kann mir nicht helfen«, sagte Philipp. »Aber du vielleicht.«
»Hä? Hör mal, wenn dir schlecht ist, dann fahr ich dich lieber in die Notaufnahme …«
»Quatsch. Setz dich.«
Marcel setzte sich. Philipp sprang wieder auf. »Ich brauche deinen Rat.«
Marcel schwieg.
»Ich … es geht um folgende Sache. Also, was würdest du tun, wenn du …« Er rannte zur Tür und wieder zurück.
»Wenn du was?«, fragte Marcel. »Hast du Krebs? Oder Aids?«
»Unsinn.« Diese Unterhaltung war ebenfalls Unsinn. Marcel würde ihm nicht helfen können. Niemand konnte das. Aber jetzt hatte Philipp das Gespräch angefangen, jetzt musste er es auch zu Ende bringen.
»Es ist wegen Vivian. Ich hab … Scheiße gebaut und nun weiß ich nicht, ob ich es ihr sagen soll.«
»Kommt drauf an, wie wichtig dir die andere ist«, sagte Marcel.
»Es ist vorbei. Es war blöd. Unwichtig.«
»Dann behalt es für dich.«
»Vivian bedeutet mir alles. Ich muss doch ehrlich zu ihr sein.«
»Warum? Wenn du ihr die Wahrheit sagst, tust du ihr weh. Vielleicht verlässt sie dich deswegen. Obwohl es vorbei ist. Obwohl es unwichtig war. Willst du das?«
Nein, das wollte Philipp nicht. Marcel hatte Recht. Es war dumm, es war kompletter Blödsinn, die ganze Beziehung aufs Spiel zu setzen wegen einem einzigen Fick. Na gut, drei. Das konnte er Vivian nicht antun. Das wollte er sich selbst nicht antun. Es war das Beste, nichts zu sagen. Und auch das Einfachste.
»Sonst noch was?«, fragte Marcel.
»Reicht das nicht? Danke, Marcel, du hast mir sehr geholfen.«
»Bitte, gerne. Stets zu Diensten.« Marcel grinste. »Lass es beim nächsten Mal«, sagte er dann, plötzlich wieder ernst. »Das ist es nicht wert. Wirklich nicht.«
Philipp nickte. So weit war er inzwischen auch.
»Dann wäre das geklärt«, sagte Marcel.
Philipp hatte Yasmin seitdem nicht mehr wiedergesehen. Oder doch, einmal war er ihr im Supermarkt begegnet, an der Gemüsetheke. Er bemerkte sie, bevor sie ihn sah, jedenfalls hoffte er, dass sie ihn noch nicht entdeckt hatte, und zog sich hastig zurück. Über die Schreibwarenabteilung an den Kassen vorbei nach draußen. Danach war er nie mehr in diesen Supermarkt gegangen.
Angerufen hatte sie ihn jedoch mehrmals. Vorzugsweise nachts. Sein Telefon hatte geklingelt, er war drangegangen, aber niemand meldete sich. Ein leises Atmen, das war alles, was er hörte.
»Yasmin? Verdammt, sag was, wenn du da bist!«
Keine Antwort. Irgendwann legte er auf.
Ein paar Nächte später rief sie wieder an. Vivian hatte zum Glück einen tiefen Schlaf. Meistens wachte sie nicht mal auf, wenn das Telefon klingelte. »Falsch verbunden«, sagte er, wenn sie es doch einmal mitbekam.
»Das passiert aber oft bei dir«, meinte sie.
Er überlegte, ob er eine Fangschaltung installieren sollte. Aber so wie er Yasmin kannte, rief sie von unterschiedlichen Anschlüssen aus an, damit er sie gar nicht erst zurückverfolgen konnte. Also beschloss er, sie einfach zu ignorieren. Irgendwann würde es ihr zu dumm werden. Dann hätte er Ruhe.
Ab da nahm er den Hörer nicht mehr ab, wenn die Rufnummer unterdrückt war. Und wechselte die Mobilfunknummer und stellte nachts das Telefon ab.
»Alles okay bei dir?«, fragte Marcel, als er ihm seine neue Telefonnummer gab.
»Klar«, meinte Philipp. »Ich wollte nur aus dem alten Vertrag raus.«
Marcel nickte. Yasmin erwähnten sie beide nicht mehr.
Inzwischen ging er wieder ganz normal ans Telefon. Yasmin rief ihn nicht mehr an. Er hatte Frau Klopp eingestellt, die vernünftiges Schuhwerk und eine
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