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Morgen wirst du sterben

Morgen wirst du sterben

Titel: Morgen wirst du sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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den Namen zum ersten Mal kurz vor der Beerdigung gehört. Jochen mochte ihn, aber sein bester Freund … so eng waren sie nicht.«
    »Brutzler behauptet, dass sie früher wie Pech und Schwefel waren. Und diese Freundin von Philipps Mutter sagte das Gleiche. Sie hingen ständig zusammen. Wie … Blutsbrüder. Aber dann ist irgendwas geschehen, das sie auseinandergebracht hat.«
    »Ich weiß nicht. Davon hätte Jochen mir sicher erzählt.«
    »Ach, Mama«, sagte Sophia. »Papa hat dir so vieles nicht erzählt.«
    Frau Rothes Hand zitterte, als sie ihre Zigarette zwischen die Lippen schob. »Ich bin dann mal draußen«, murmelte sie und verschwand.
    »Sehr feinfühlig, Sophia«, sagte Moritz.
    »Ach, hör doch auf! Es ist höchste Zeit, dass wir die Dinge beim Namen nennen. Ich will wissen, was passiert ist.«
    »Noch drei Tage«, sagte Moritz. »Dann weißt du’s.«

M it zwanzig im ersten Lehrjahr. Aber die anderen sind auch nicht viel jünger als ich. Und genauso fertig. Schulabbrecher, Exknackis, Exjunkies, ein lustiges Trüppchen. Jede Woche steigt einer aus und dann fängt wieder ein Neuer an.
    Ich bin noch nicht ausgestiegen. Im Wohnheim ist es besser als in diesen Scheißinternaten. Klare Regeln: kein Terror, keine Drogen, keine Weiber. Wer Ärger macht, fliegt. Ohne Schulkonferenz.
    Wer aber den Heiligen Geist lästert, der hat keine Vergebung ewiglich. Die Bibel hab ich mitgenommen. Ich les immer noch drin, jeden Tag, die anderen nennen mich nur noch »den Propheten« . Halten mich für gläubig. Vielleicht bin ich es ja auch, nur mit Kirche und Christentum hat das nichts zu tun.
    Die meisten von denen können kaum lesen und schreiben. Deutsch ist für sie eine Fremdsprache. Aber keiner jammert drüber, dass er mit seinem Alten den Highway in Kalifornien runterbrettern muss. Die meisten kennen ihren Vater gar nicht. Oder nur kaum.
    Nicht so gut wie ich. Ich fahr jedes Wochenende hin. Stell mich vor sein Haus und warte, bis er rauskommt.
    Als ich ihn das erste Mal sehe, fall ich fast um. Weil er sich nicht verändert hat. Kein Stück. Die Haare ein bisschen dünner, ein bisschen grauer. Das ist alles. Das macht mich fertig. Ich meine, ich bin doppelt so alt und doppelt so groß wie damals und er ist ganz der Alte.
    Er schaut zu mir rüber und ich will abhauen oder wenigstens weggucken, aber es geht nicht. Ich starr ihn an, er starrt zurück, er sieht mich nicht. Er sieht durch mich durch. Und geht einfach weg.
    Ich geh hinter ihm her, bis zu seinem Auto, dann steigt er ein und fährt weg und ich bleib zurück. Jedes Mal wenn ich hinfahre, nehm ich mir vor, ihn anzusprechen. Ich bin’s. Dein Großer. Und dann? Was dann? Nichts dann. Ich tu’s ja nicht.

18
    Das Haus sah aus, als wäre es mit frischem Eiter gestrichen worden. Die Fassade glänzte gelblich, krank. Fünf Fensterreihen übereinander, vor jeder Wohnung klebte ein Balkon. Auf den Schildern neben den Klingeln standen keine Namen. WG 1, WG 2, WG 3, WG 4, WG 5.
    Annette Rose lebte in Wohngruppe 5. Philipp klingelte, der Türöffner summte. Er drückte die Tür auf und trat ins Haus. Er nahm die Treppe statt den Aufzug. Als er im fünften Stock ankam, war er vollkommen außer Atem. Dabei hätte er sich denken können, dass die fünfte Gruppe ganz oben wohnte. Die Wohnungstür war geschlossen. Er rang nach Luft.
    »Hallo?« Jetzt streckte eine junge Frau den Kopf in den Hausflur. Als sie Philipp vor der Tür entdeckte, zuckte sie zusammen. »Du lieber Gott, haben Sie mich erschreckt!«
    »Sorry. Das wollte ich nicht.« Er hob beide Hände. »Mein Name ist Preuss. Ich möchte zu Frau Rose.«
    »Jaja, Sie hatten angerufen.« Die Frau machte die Tür ganz auf. »Ich bin Silke Kurz. Ich betreue die Gruppe als Sozialpädagogin. Frau Rose ist im Gemeinschaftsraum, kommen Sie bitte mit.«
    Er folgte ihr durch einen dunklen Flur, von dem zu beiden Seiten Türen abgingen. »Jede unserer Bewohnerinnen hat ihr eigenes Zimmer und Bad«, erklärte Silke. »Die Küche und den Gruppenraum nutzen wir gemeinsam.«
    »Aha.« Eine der Türen stand offen, im Vorübergehen warf er einen Blick hinein. Ein großer Raum mit hellbrauner Einbauküche und einem ovalen Tisch, um den sechs Stühle standen. Praktisch. Sauber. Und scheußlich.
    Der Gemeinschaftsraum war ähnlich funktional eingerichtet. Ein dezent gemustertes Sofa, vier Sessel, eine vertrocknete Zimmerlinde, Usambaraveilchen auf dem Fensterbrett.
    Auf dem Sofa saß eine große Frau, ihr blondes Haar war von grauen

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