Morgen wirst du sterben
Sophia, das hatte ich total vergessen. Ich war so mit meinem eigenen Kram beschäftigt. Tut mir leid, tut mir echt leid.«
»Was denn? Du musst dich doch nicht entschuldigen.«
»Du bist mit Moritz weg. Nee, sag lieber nichts, ich will’s gar nicht wissen.«
»Bist du sauer?«
»Quatsch. Ihr macht das schon richtig. Verschwindet für ein paar Tage. Sag keinem irgendwas. Meld dich, wenn du kannst. Und dann komm ich zu dir, egal wo du bist.«
»Ich mach das Handy jetzt aus. Und ich ruf dich wieder an, bald.«
»Ich kann es kaum erwarten«, flüsterte er.
Nachdem sie aufgelegt hatte, stand sie lange am Fenster und fühlte ihren Körper langsam zerfließen wie die Regentropfen an der Scheibe.
»Essen!«, schrie Moritz aus der Küche. »Alle, die Hunger haben, sofort herkommen!«
Bevor Sophia ins Wohnzimmer ging, schaute sie noch einmal nach Julie. Sie hatte die Rollläden heruntergelassen und die Vorhänge zugezogen. »Schläfst du?«
Keine Antwort. Auf Zehenspitzen schlich Sophia zu ihrem Bett. Legte ihre Hand auf Sophias Stirn. Heiß.
»Sie hat hohes Fieber«, teilte sie Moritz mit, der gerade die Soße über die Spaghetti schüttete.
»Wenn sie schläft, ist es doch super. Morgen geht es ihr bestimmt wieder besser.«
Moritz verteilte die Nudeln auf drei Tellern.
»Mir bitte nicht so viel«, sagte Philipp.
»Wirst du jetzt auch krank?«, fragte Moritz.
»Nee. Ich hab nur keinen Appetit.« Philipp nahm seinen Teller entgegen. »Ich frag mich, ob da wirklich jemand im Garten war.«
»Ich hab vorhin noch mal alle Türen und Fenster kontrolliert. Alles abgeschlossen, alles dicht. Wenn hier einer einbricht, dann hören wir es zumindest.«
Sophia schauderte. »Vielleicht hab ich mich doch vertan.«
»Ach, plötzlich!«, meinte Moritz spöttisch.
»Wir sollten heute Nacht Wache halten«, sagte Philipp nachdenklich.
»Wie die Cowboys am Lagerfeuer.«, Moritz grinste.
»Ich verstehe nicht, was daran so witzig ist.«
»Ich auch nicht, Moritz«, sagte Sophia. »Philipp hat doch Recht …« Weiter kam sie nicht.
»Verbündet ihr euch jetzt gegen mich, oder was?«, fuhr Moritz sie an. »Der große Macker aus München, der weiß, wo ’s langgeht. Das beeindruckt dich natürlich, ist ja klar.«
»Spinnst du, Moritz?«, fragte Sophia.
»Hey, hey, hey. Ruhig Blut. Ich wollte dich nicht anmachen«, sagte Philipp.
»Dann halt doch einfach mal die Fresse! Ich kann dein überlegenes Gelaber nämlich nicht mehr hören. Ich frag mich echt, warum ich mich auf diesen Schwachsinnsausflug eingelassen habe. Das ist doch total bekloppt! Was für eine Scheiße!« Er knüllte seine Serviette zusammen, warf sie auf den Tisch und stand auf. »Guten Appetit noch!«
Die Tür knallte. Moritz war weg.
»Da waren’s nur noch zwei«, sagte Sophia. »Also, wenn du auch abhauen willst, bitte, nur zu. Aber ich ess jetzt.«
Philipp schüttelte langsam den Kopf. »Ich versteh nicht, warum er so ausgerastet ist. Ich hab ihm doch nichts getan.«
»Er ist genau wie du«, sagte Sophia mit vollem Mund.
»Bitte?«
»Moritz will immer bestimmen. Er kann es nicht ertragen, wenn man ihn rumkommandiert.«
»Ich kommandier ihn doch gar nicht.«
»Doch natürlich. Die ganze Zeit. Und wenn Moritz was vorschlägt, schießt du dagegen.«
»Das ist doch …«
»Ihr seid euch so ähnlich. Und genau wie Papa. Alphamännchen.« Sie schob noch eine Gabel Spaghetti in den Mund. »Das Essen ist echt lecker. Du solltest mal anfangen, bevor es kalt wird.«
»Was meinst du, soll ich ihm hinterher? Mich entschuldigen?«
»Lass ihn erst mal runterkommen«, sagte Sophia. »Morgen Früh kannst du mit ihm reden.«
Philipp zögerte.
»Er beruhigt sich schon wieder.« Sophia lächelte. »Glaub mir, ich habe Erfahrung mit dieser Gattung.«
Er griff zu seiner Gabel, aber dann ließ er sie gleich wieder sinken. »Eines würde ich gerne wissen.«
»Was denn?«
»Warum du so nett bist, im Gegensatz zum Rest der Familie. Moritz, Julie, ich, unser Vater mit seinen ganzen Affären – wir sind doch alle total zum Kotzen. Einer schlimmer als der andere. Nur du hast einen guten Charakter abbekommen.«
Sophia lachte. »Du bist doch total bekloppt.«
Sie spülten gemeinsam das Geschirr, dann ging Sophia in ihr Zimmer und Philipp setzte sich vor den Fernseher. Normalerweise ging er nicht vor Mitternacht zu Bett, aber heute kämpfte er schon um halb elf mit dem Schlaf. Dabei hatte er mit Sophia vereinbart, dass er bis um ein Uhr wach bleiben würde, um sie
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