Morgendaemmerung der Liebe
„Zweifellos hast du mir überhaupt nur deshalb schon damals einen Antrag gemacht.“
Ein Muskel zuckte in seiner Wange, doch sonst war ihm keine Reaktion anzusehen. „Wir sollten uns nicht über die Vergangenheit streiten, dafür haben wir keine Zeit.“
„Wir können nicht heiraten.“ Sie flüsterte die Worte nur. Doch sie wusste, dass ihr Protest nichts nützen würde.
„Wir können und wir werden.“
In ihrer Fantasie hörte sie das metallische Klirren der Ketten, die Jake ihr mit einer Heirat anlegen würde. Aber tat er das wirklich? Dieser Teil von ihr, der seine Frau werden wollte, sah nur Leidenschaft, keine Einschränkung. Der Zwiespalt ihrer Gefühle entsetzte sie. Sie sah auf den Ring an ihrem Finger und versuchte, ihn zu drehen. Er bewegte sich nicht. Er saß zu fest, ließ sich schon jetzt nicht mehr abnehmen …
Panik wallte in ihr auf. „Du kannst mich unmöglich heiraten wollen, nur um Mark einen Gefallen zu tun!“
Jake ließ den Motor an. „Du solltest mich besser kennen.“
„Keiner wird uns abnehmen, dass wir ineinander verliebt sind. Meine Mutter …“
Er richtete einen undurchdringlichen Blick auf sie. „Deine Mutter ist nicht blind.“
„Was soll das heißen?“ Sie kämpfte nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen sich selbst. Es wäre so leicht, sich zu ergeben. Sie könnte sich einfach einreden, dass ihr keine andere Wahl bliebe, als ihn zu heiraten. Doch sie würde sich ihr ganzes Leben lang schmerzlich nach seiner Liebe sehnen. Das war es, was sie nicht ertragen könnte: ihn zu lieben und zu wissen, dass er ihre Liebe nie erwidern würde.
„Überleg selbst.“ Er klang jetzt völlig gleichgültig, seine Aufmerksamkeit gänzlich auf die Straße gerichtet.
Wollte er damit etwa andeuten, ihre Mutter hätte gewusst, dass sie verzweifelt in Jake verliebt gewesen war? Teenager konnten bekanntlich ihre Gefühle nicht besonders gut verbergen. Damals war sie Jake auf Schritt und Tritt gefolgt, hatte ihre hübschesten Kleider für ihn angezogen und alles getan, damit er sie als begehrenswerte Frau sah und nicht als kleine Stiefschwester.
Und es hatte funktioniert. Doch in den vergangenen Jahren war ihr klar geworden, dass er sie nie wirklich geliebt hatte. Vielleicht hatte er sie begehrt, aber vor allem hatte er sie zu einer perfekten Ehefrau für sich formen und zudem das Vermögen seines Vaters wieder zusammenfügen wollen.
Der Wagen flog über die Landstraße dahin. Wenn sie sich nicht in voller Fahrt aus dem Auto stürzen wollte, blieb ihr keine andere Wahl, als bei diesem bösen Spiel vorerst mitzuspielen. Jake hatte das schlau eingefädelt, ihr blieb keine Zeit für Widerspruch. Aber er konnte sie nicht zu einer Heirat zwingen, auch nicht mit der Ankündigung ihrer Verlobung.
Jessica entspannte sich langsam. Sie würde sich etwas einfallen lassen, wie sie den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Verlobungen konnten schließlich auch wieder gelöst werden.
„Wir sind gleich da“, sagte Jake tonlos, doch davon ließ sie sich nicht täuschen. Was heckte er jetzt schon wieder aus?
Schon fuhren sie über die gewundene kleine Nebenstraße, die Jessica selbst in der Dunkelheit wiedererkannte. Automatisch versteifte sie sich, als Jake vor den großen Toren abbremste.
Mark hatte dieses Anwesen gekauft, als er die Fabrik in York übernahm. Das solide Haus, im frühen viktorianischen Stil gebaut, war Jessicas Zuhause, seit sie sich erinnern konnte. Licht fiel aus den Fenstern auf die Auffahrt und ließ den Schnee glitzern, als sie auf das Portal zufuhren.
„Ich parke hinter dem Haus“, sagte Jake. „Heute Abend brauchen wir den Wagen nicht mehr.“
Sie nutzten den Kücheneingang. Jessica ging voran, Jake folgte ihr, während er ihre Hand mit festem Griff hielt.
Jessicas Mutter liebte es noch immer, die Hausarbeit und das Kochen selbst zu erledigen, und die vertrauten Düfte und Aromen der Küche versetzten Jessica sofort zurück in die Kindheit.
Auf dem blitzblank geschrubbten Küchentisch standen Backbleche mit gefüllten Pasteten zum Auskühlen. Ein Hauch von Zimt und Kardamom lag in der Luft. Margaret schloss gerade wieder den Backofen und drehte sich erfreut um.
„Jessica! Jake! Ihr seid früher hier als erwartet.“
„Wo ist Mark?“, fragte Jessica sofort bedrückt.
„Oh, heute war ein guter Tag“, beruhigte ihre Mutter sie. „Er wartet im Wohnzimmer auf euch.“ Das Licht der Küchenlampe fing sich im Diamantring an Jessicas Finger, und mit einem
Weitere Kostenlose Bücher