Morgendaemmerung der Liebe
sich in Jakes Einflussbereich zu begeben. Und das würde sie nicht aushalten. Sie brauchte ihn nur kurz zu sehen, und schon wurde ihr Selbstwertgefühl von einer Mischung aus verzweifelter Sehnsucht und abfälliger Selbstverachtung zerstört. Es war beschämend, wie oft sie wünschte, Wanda hätte ihr nicht die Augen geöffnet. Wenn sie Jake geheiratet hätte …
Abrupt fing sie sich. Was war los mit ihr? In einer Ehe mit Jake hätte sie früher oder später eine grässliche Enttäuschung erlebt. Es war lächerlich, sich an einen Traum zu klammern, der in der Wirklichkeit so nie existiert hatte. Doch die Wahrheit war – sie liebte Jake noch immer. Und das machte es ihr unmöglich, ihr Glück mit einem anderen Mann zu finden.
„Auf der Rückbank sind eine Thermosflasche und Sandwichs. Die Fahrt dauert ziemlich lange, und ich würde lieber durchfahren, wenn du nicht unbedingt eine Pause machen willst.“
Jessica schüttelte den Kopf. „Warum das Elend noch verlängern? Je eher wir ankommen, desto besser.“
Sie sah, wie Jakes Mund hart wurde, und seufzte still. Diese Angriffslust ihm gegenüber war fast schon eine automatische Reaktion. Früher hatten sie sich in der Gesellschaft des anderen so wohlgefühlt, dass sie stundenlang einträchtig schweigen konnten. Jetzt reichte die harmloseste Bemerkung von ihm, dass sich ihre Nackenhärchen sträubten.
„Du wirst nicht aufhören, nicht wahr, Jessica? Wen von uns willst du damit überzeugen – mich oder dich selbst?“
Er durchschaute sie viel zu gut. Ihr Magen verkrampfte sich. „Niemandem gefällt es, zu etwas gezwungen zu werden, das er nicht tun will“, fauchte sie. „Nur weil jeder andere sich deiner verdammten Arroganz unterordnet, heißt das noch lange nicht, dass ich dieses Spiel mitmache.“
„Du hältst mich für arrogant?“
Sie hatten den Stadtrand von London erreicht, und Jake reihte sich ein, um auf die Autobahn aufzufahren. Jessica fühlte seinen Blick auf sich liegen, aber sie hielt das Gesicht abgewandt.
„Bist du das etwa nicht?“ Es wäre klüger gewesen, seine Frage einfach zu ignorieren und nichts zu sagen. Sie hatte keine Lust, sich auf einen Streit mit ihm einzulassen, bei dem sie zweifellos den Kürzeren ziehen würde. Sie wusste schließlich, wie meisterhaft Jake die Tatsachen zu seinen Gunsten verdrehen konnte.
Als von ihm kein Wort kam, schaute sie ihn doch an. Spöttisch ließ er den Blick über ihr Gesicht wandern.
„Früher gefiel es dir, wenn ich … die Dinge in die Hand nahm. Du fandest es aufregend.“
Jessica erstickte fast an ihrer Wut. Diese Tatsache konnte sie nicht einmal bestreiten. Das waren genau die Worte, die sie damals benutzt hatte. „Mag sein, dass ich das mit achtzehn so sah.“ Sie schluckte ihren Ärger und verließ sich stattdessen auf kühle Ironie. „Glücklicherweise habe ich inzwischen dazugelernt.“
„Du meinst, du glaubst, du hättest dazugelernt“, korrigierte er lässig. „Keine Frau respektiert einen Mann, den sie herumkommandieren kann. Wenn du ehrlich bist, gibst du zu, dass das stimmt.“
Sie musste einräumen, dass Jake zum Teil recht hatte. Aber sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als es laut zu sagen! „Ich glaube daran, dass Männer und Frauen echte Partner in einer Beziehung sein sollten“, sagte sie eisig. „Der Macho ist nicht mehr angesagt, Jake. Die Tage, in denen ein Mann das Zepter in der Hand hielt, sind vorbei.“
„Da stimme ich dir voll zu.“ Dass er ihr so schnell recht gab, verdutzte sie. „Dennoch behaupte ich, dass eine Frau sich einen Partner wünscht, der seinen Mann steht, auf den sie sich in einer Krise verlassen und an dessen starker Schulter sie sich notfalls anlehnen kann.“
Auch hier war sie seiner Meinung, doch sie hatte nicht vor, ihn das wissen zu lassen. „Es besteht ein Unterschied zwischen Stärke und Arroganz, Jake.“ Sie war froh, als die Beschleunigungsspur in Sicht kam. Nun würde Jake sich auf den Verkehr konzentrieren müssen, anstatt sich eine geistreiche Erwiderung auszudenken.
Sie lehnte sich in den Sitz zurück, und plötzlich wurde ihr klar, dass sie es genoss, die Klingen mit ihm zu kreuzen. Unter halb gesenkten Lidern warf sie ihm einen Seitenblick zu. In den sechs Jahren hatte er sich kaum verändert. Er strahlte immer noch diese sinnliche Gelassenheit aus, von der sie sich mit achtzehn so angezogen gefühlt hatte. Für die Reise war er lässig gekleidet, trug ausgewaschene Jeans und einen hellen Wollpullover.
Er
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