Morgengrauen
eine große Boulevardzeitung, deren Ausgabe vom Vortag er vor sich liegen hatte. »Der Freibad-Würger! Wo schlägt er als Nächstes zu? Mord im Ferienparadies Schwarzwald«, lautete die Überschrift des Aufmachers. Steger hatte ganz schön dick aufgetragen. Ohne das gerade beginnende Sommerloch und die reißerische Aufmachung wäre die Story wohl nie auf Seite 1 des Leib- und Magenblattes von Millionen Deutschen gelandet. Klaus war hin und her gerissen zwischen Verachtung und Bewunderung für diese Art von Journalismus.
Diese allerdings trug Steger gerade den Tadel des Polizeidirektors ein, der nun nach einem einleitenden Satz des Ö am Zug war.
»Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Presse«, begann er seine Begrüßung und hielt das Boulevardblatt hoch. »Die heutige Pressekonferenz soll auch dazu dienen, derartige Auswüchse, Fehlinterpretationen und Panikmache durch die Medien zu verhindern.«
Ein ebenfalls etwas untersetzter Kollege vom Regionalradio klopfte Steger auf die Schulter. Der legte ein breites, hämisches Grinsen auf.
»Kommen wir zur Sache«, fuhr der Polizeidirektor fort. »Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen unserer Soko ›Freibad‹ glauben wir, dass der Täter männlichen Geschlechts ist, denn eine Frau hätte eine solche Tat physisch kaum zustande gebracht. Außerdem gehen wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es sich hier um keinen Trieb- oder Serienmörder handelt, wie in der Presse teilweise behauptet, sondern um eine Einzeltat, die sich vermutlich nicht wiederholen wird.
Was für ein Deutsch: Klaus und Bernd blickten sich schmunzelnd an. Der bürokratische Polizeijargon fand nicht nur in den Pressemitteilungen deutlichen Niederschlag.
Der Direktor zog die Augenbrauen nach oben, seinen Blick anklagend auf den Boulevardjournalisten gerichtet. Den schien das aber nicht besonders zu beeindrucken. Er biss gerade kräftig in eine der viel zu dick bestrichenen Butterbrezeln, die ebenfalls auf den Tischen angeboten wurden.
Riesles Magen grummelte.
»Vielmehr geht die Polizei davon aus, dass es sich hier um einen Mord mit räuberischem Motiv handelt. Das Opfer Verena B. hatte ihre Wertsachen in einem der Freibadspinde verstaut. Ihr Mörder, der sie so lange unter Wasser gedrückt hat, bis sie ertrunken war, hat ihr ganz offensichtlich den Schließfachschlüssel abgenommen, um an die Handtasche aus ihrem Spind zu gelangen.«
Klaus’ Blick schweifte in die Runde. Die Pressevertreter schrieben auf Ringblöcken oder Laptops eifrig mit, ebenso Bernd, der den Artikel für den Kurier verfassen musste. Klaus nicht, denn er hatte ja immer noch Urlaub, war eigentlich ganz privat hier. Sehr zum Verdruss von Kerstin.
»Was diese Annahme zusätzlich unterstützt, ist die Tatsache, dass der Täter offensichtlich auch die Wohnungsschlüssel des Opfers entnommen, die Wohnung kurz nach der Tat durchwühlt und verschiedene Wertgegenstände mitgenommen hat. Allerdings war er in großer Eile und hat deshalb – so vermuten wir – nur kleine Gegenstände entwendet.«
»Welche?«, dröhnte die erste Zwischenfrage.
»Wir gehen davon aus, dass es sich dabei um Schmuck, Geld und kleinere Elektrogeräte gehandelt hat.«
»Kleinere Elektrogeräte?«, bat Klaus mit fester Stimme um Erläuterung.
»Wir haben mit den Angehörigen der Frau Rücksprache genommen. Sie glauben, dass ein Radiogerät, ein elektronischer Timer sowie der Anrufbeantworter fehlen. Der Täter hatte offenbar keine Zeit, weitere, auch größere Gegenstände mit sich zu nehmen.
Das leuchtete Klaus durchaus ein. Klar, der Täter musste davon ausgehen, dass man die Leiche im Bad sehr bald entdecken, ihre Identität herausfinden und ihre Wohnung aufsuchen würde.
»Nähere Einzelheiten teilt Ihnen jetzt Hauptkommissar Müller von der Kripo Villingen-Schwenningen mit. Er ist der Leiter der Soko ›Freibad‹«, leitete der Direktor über.
Müller ließ zunächst Material verteilen. Seine Sekretärin Hirschbein wühlte sich auch bei diesem heißen Sommerwetter, einen Stapel voll Mappen auf dem Arm, mit hochgeschlossener Rüschenbluse durch das dichte Gedränge des Presseraums.
Riesle und Bieralf nahmen sich eine der Mappen und schlugen sie auf. Darin befanden sich ein Text, der den Inhalt der Pressekonferenz wiedergab, sowie ein Foto mit einem »Lloyd«-Fußabdruck auf Sand, der Klaus und Hubertus im Kneippbad aufgefallen war. Riesle schaute gelangweilt, denn was nun folgte, hatte er bereits bei
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