Morgengrauen
Villingen kam, am Ortseingang Schwenningens auf einem grünen Hügel. In den achteckigen hellbraunen Türmen mit Schindelfassade, die wie Bienenwaben aussahen, wohnten die studierenden Polizisten. Das Hauptgebäude war demnach der Sitz des Bienenkönigs, denn hier befanden sich Rektorat und Verwaltung. Die Türme waren durch verglaste Gänge miteinander verbunden. In einem der Nebengebäude, die allesamt eine graue Holzfassade hatten, war die Cafeteria. Auf dem Vorplatz stand ein klobiger Granitblock, aus dem Wasser sprudelte.
Im Innenhof spielte sich der Großteil der Party ab, an der weit über tausend Studenten und zahlreiche Dozenten teilnahmen. Ein sicher wichtiges Ereignis, doch die Musik war entschieden zu laut. Fand jedenfalls Hubertus, der zusammen mit Klaus, Kerstin und Elke mit Bowlegläsern in der Hand am Rande des Festplatzes stand. Klaus lehnte mit einem Arm an einem eisernen Pfahl, an dem Wegweiser angebracht waren – sie zeigten in alle Himmelsrichtungen, überall dorthin, wo sich die ausländischen Partnerakademien befanden.
Sie kamen sich etwas deplatziert vor. Der Altersdurchschnitt war eindeutig unter dem ihrigen, und außerdem war es heiß. Lediglich Martina und Didi schien es zu freuen, hier und damit beieinander zu sein. Sie hielten Händchen, was Hubertus missmutig beäugte.
Ein beschwörender Anruf von Klaus hatte zwar keine Wunder bewirkt, aber Hubertus immerhin so weit besänftigt, dass von seiner Seite wohl mit keinen Übergriffen zu rechnen war. Martina hatte erklärt, sie wolle unbedingt an der Party teilnehmen, denn möglicherweise wolle sie nach dem Abitur an der Schwenninger Fachhochschule studieren. Was, das wisse sie allerdings noch nicht genau.
Hubertus schaute sich um. Das Ganze hier ging ihm auf den Geist. Wären nicht die Ermittlungen gewesen …
Elke stupste ihn an: »Huby, du weißt doch: Positiv denken ist wichtig.«
Kurz darauf kam Bernd bei Klaus vorbei, hatte aber so gut wie keine Zeit, da er mit einem schnauzbärtigen Mann unterwegs war, der – wie er selbst – einen Anzug mit Weste und Krawatte trug und einen wichtigen Eindruck machte. »Ich habe Claudia gesehen«, sagte Bernd nur kurz und deutete in die Richtung, in die das Hinweisschild »Policejní Akademi ČR, seit 1998« und die dazugehörige Landesflagge der Tschechischen Republik wiesen.
Claudia war etwa fünfzig Meter weiter in ein Gespräch vertieft. Klaus zeigte Didi die Wirtschaftswissenschaftlerin, gab ihm den Brief und schärfte ihm ein, möglichst zu warten, bis er sie kurz alleine sprechen könnte.
»Wo ist eigentlich der Exfreund der Toten, dieser Frank? Der müsste doch auch hier sein«, mischte sich Hubertus ein.
»Komm«, forderte Klaus seinen Freund auf, nachdem er sich aufmerksam umgeschaut hatte. »Der eine da hinten könnte es sein. Leider sehen die Typen einander ziemlich ähnlich und haben alle die gleiche Kurzhaarfrisur.«
Zumal Riesle sich anhand von Franks Foto auf der Internetseite von dessen Lehrstuhl nicht ausreichend sicher war.
Hummel plagten andere Sorgen. Als Didi gerade zwei Minuten weg war, hatte sich bereits ein Student an Martina herangemacht: »He, Erstsemesterin, oder? Lass uns eine Schlammbowle trinken!« Er versuchte, den Arm um sie zu legen.
Hubertus lief auf den jungen Mann zu: »Hier wird überhaupt nichts getrunken! Was fällt Ihnen ein, sich an meine Tochter heranzumachen? Die hat bereits einen Freund!«
Martina war die Intervention ihres Vaters sichtlich peinlich, Elke und Kerstin schmunzelten dafür umso mehr. »Siehst du, Hubertus«, freute sich Elke. »Schon hast du dich an Didi gewöhnt.«
Hummel und Riesle näherten sich unauffällig dem Quartett von Wirtschaftswissenschaftlern, das darüber fabulierte, dass dem ostasiatischen Markt die Zukunft gehöre und man ohne längeren Aufenthalt im Ausland sowie die Beherrschung von mindestens vier Sprachen heutzutage auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr habe.
Gerade als sie sich wieder unauffällig entfernen wollten, kam ein weiterer junger Mann auf die Gruppe zu. Er war ähnlich elegant gekleidet – allerdings merkte man ihm den Alkoholkonsum an. Er versuchte, sich ins Gespräch einzubringen, wurde aber von einem der Männer daran gehindert. »Geh weg. Du hast viel zu viel geladen!«
»Frank, du hast mir schon mal gar nichts zu sagen!«, antwortete der Betrunkene. Er schwankte leicht.
Aha – es war also Frank. Dann musste die Blonde, die sich an ihn schmiegte, die Nachfolgerin von Verena Böck
Weitere Kostenlose Bücher