Morgenrötes Krieger
eigenen Land. Du wirst dort frei sein, auch frei von mir, wenn du es wünschst – auch wenn es mir schwerfällt, dir dies anzubieten.“
„Sei unbesorgt, ich werde eine solche Wahl nicht treffen, weder hier noch dort. Ich habe nur ein Leben zu leben; ich will nur eine Liebe – so wie diese. Es ist soviel mehr …“ Sie hielt inne und überlegte einen Moment lang. „Außerdem …“, sagte sie in einem plötzlichen Anflug von Scharfsinn, „noch sind wir nicht da.“
„So ist es. Wir müssen abwarten. Erzähl mir nun von den Zlats – alles! Komm, wir machen es uns gemütlich.“
Sie folgte ihm und setzte sich dicht neben ihn. Sie begann zögernd, so als verrate sie die allergrößten Geheimnisse, bald aber tat das heiße Bier seine Wirkung, und die Geschichte kam in Fluß.
Eigentlich war sie recht einfach. Nach ihrer Darstellung war am Anfang ein großes Chaos gewesen, in dem die Menschen genauso wild waren wie die anderen Kreaturen. Dann kam das Volk – die Ler –, brachte die Dinge in Ordnung und begann mit ihrer Zucht. Es war eine ziemlich enge Welt, aber relativ sicher innerhalb ihrer Grenzen. Sie wußte, daß es noch wilde Menschen gab, aber sie beneidete sie nicht. Sie hatte niemals eingehender darüber nachgedacht.
Die Zlats waren natürlich die einzige Zucht, die sie gut kannte. Für Han klang es so, als wenn sie die am weitesten entwickeltste sei. Aber selbst dann noch besaßen sie so wenig von dem, was man gemeinhin eine Kultur zu nennen pflegte, daß sie mit nichts zu vergleichen waren. Sie standen auf einem Niveau, das noch unter demjenigen von Sklaven war. Auch fehlte ihnen jegliche Religion oder Subkultur. Indem man sie über Jahrtausende voneinander getrennt gehalten hatte, war ihnen die Möglichkeit genommen, etwas Derartiges zu entwickeln. Sie paarten sich nur dann, wenn man es ihnen erlaubte, einige Tage zusammenzubleiben. Die übrige Zeit lebten sie sorgfältig voneinander abgeschirmt. Die Kinder wurden von ihren Müttern großgezogen, und nach einem gewissen Alter kamen die Jungen zu den männlichen Zuchttypen. Usteyin wußte über die Geschlechter und die Liebe der Eltern zu ihren Kindern; zudem hatte sie eine Menge Geschichten über die Beziehungen von Männern und Frauen gehört, doch sie entbehrten jeder Realität – es war eine Art Freizeitbeschäftigung.
Diesem Zweck diente auch das kleine Spielzeug aus geflochtenen Drähten. Es war eigentlich ein Mechanismus, der in einer fast unbegrenzten Anzahl möglicher Arrangements und Konfigurationen verändert werden konnte. Dieser Gestaltungswechsel, die Weise, wie das Licht darauf fiel, und die Bewegungen, mit denen sie es handhabte, waren die Grundelemente eines symbolischen Systems, das stark an einen Abakus erinnerte, ein System, das Beziehungen, Emotionen, Ereignisse und Wünsche als Realitäten kodierte. Sie konnte sich selbst eine unbegrenzte Zahl von Geschichten erzählen, wobei sie die realen Motive und Handlungsabläufe von anderen übernahm, die sie während der seltenen Kontakte kennengelernt hatte. Sie war sehr stolz auf ihr eigenes Gerät, denn sie hatte es in ihrer Jugendzeit selber hergestellt. Das Wort, das sie benutzte, war: „großgezogen“. Sie hatte es großgezogen. Aber sie fürchtete es auch: „Man benutzt den ‚Geschichtensammler’ zu oft – der Geist wird süchtig danach. Man versinkt in den Drähten und Perlen; niemand, außer dir selber, kann dich dort wieder herausbringen.“
Das einzige, was sie außerdem tat und konnte, war eine ungewöhnliche Form der Handwebekunst. Ihre Decke war von einer Feinheit, wie sie Han zuvor noch nie gesehen hatte. Es war sozusagen ihr einziger Besitz: Schutz, Zuhause und Bekleidung in einem.
Sie kannte auch andere Klesh -Arten, aber nur vage und in groben Umrissen. Sie wollte noch mehr erzählen, aber sie wurde schläfrig, und wie die meisten ihrer Art verfiel sie wie eine ausgeblasene Kerze übergangslos in tiefen Schlummer. Han trug sie in das kleine Bett, setzte sie sanft und vorsichtig ab und deckte sie mit ihrer eigenen Decke zu. Als sie ihre passende Schlafposition gefunden hatte, glitt ein sanftes Lächeln über ihr herrlich geformtes Gesicht, und sie murmelte etwas im Schlaf, was jedoch zu leise war, als daß er es hätte verstehen können. Er selbst war noch nicht müde – zu sehr bestürmten ihn die verschiedensten Gedanken und Empfindungen.
Er dachte an Usteyin. Sie lebte ganz in der Gegenwart. Selbsteinschätzungen, wie bei Liszendir auf der
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