Morgenrötes Krieger
war und blieb ein endliches Wesen, das arbeitete und sich abmühte, gestrandet an der Küste unendlicher Systeme. Aber er antwortete: „Ja, ein Gefühl, das wirklich dazu paßt. Ich kenne es gut. Doch was wir tun, müssen wir daran messen, wozu wir fähig und sind.“
„Ja, wie das Meer. In meiner Heimat, auf Kenten, liegt unser yos, in dem die Webe lebt, an einer engen Meeresbucht, die im Westen mit dem Ozean verbunden ist. Ringsumher erheben sich Berge, einige sind wild und zerklüftet, andere stufenförmig, mit Gärten und Obsthainen, anderen yosas, Städten und Türmen. Von einem dieser Gärten aus schaue ich oft stundenlang aufs Meer: die Wellen, das Spiel des Lichtes, die wechselnden Winde und diese Zeitlosigkeit, die unendliche Zeit, das kfandir , die Vergänglichkeit, die größer ist als unsere eigene Lebenszeit. Das Meer sagt mir: Ich war schon hier, ruhte und füllte die Tiefen meines Willens, sammelte mich, gestreichelt vom Wind, geliebt vom Licht, lang bevor ein Ler seinen Fuß auf diesen Planeten setzte; und wenn sie ihn einst verlassen haben, so werde ich noch immer hier sein. Die Wellen, so klein sie auch sind, verhöhnen uns mit ihrer Unbegrenztheit. Ich sitze hier, schaue nach draußen und vernehme eben diese Worte.“
Sie verstummte erneut und blickte voll innerer Sammlung auf die ungeheure Dunkelheit und das verstreute Glitzern endlos ferner Sterne. Han versuchte, sich das Bild ihrer Heimat, das sie gezeichnet hatte, in all seiner Farbigkeit vorzustellen – es mißlang ihm. Er wußte einiges über die Familienstruktur der Ler und welch entscheidende Bedeutung sie für ihre Gesellschaftsordnung hatte, aber einen Einblick, wie sie wirklich war, den besaß er nicht.
Die „Familien“-Struktur der Ler, die sogenannte Webe, war eine Konsequenz aus ihrer niedrigen Geburtenrate. Eine empfängnisfähige Frau wurde während ihrer Fruchtbarkeitsperiode, die nur die Zeitspanne vom dreißigsten bis zum vierzigsten Lebensjahr umfaßte, im Schnitt maximal zweimal schwanger. Andere Dinge spielten jedoch eine weitaus größere Rolle: so zum Beispiel die lange unfruchtbare Jugendzeit mit ihrer hohen sexuellen Aktivität, die dazu führte, daß der einzelne seinem Wesen nach selbständig und individualistisch wurde. Dann die kurze Fruchtbarkeitsperiode mit ihrer achtzehnmonatigen Schwangerschaftszeit und schließlich und endlich ihre ursprünglich geringe Anzahl mit einem nur kleinen Spektrum erbbiologischer Varianten. In der Anfangsphase auf der Erde übernahmen sie verschiedene Familienmodelle, aber keines wollte ihnen so recht gefallen. Deshalb entwickelten sie eine Struktur, die ihre Erbanlagen erweiterte, ihre Geburtenrate maximierte und die Erziehung der Kinder sicherstellte. Diese Struktur basierte nicht wie bei den Menschen auf einem sozialen Austausch, der die einzelnen Gesellschaftsmitglieder auf äußerst komplexe Art und Weise miteinander verknüpfte.
Die Webe wurde gegründet durch die Verbindung oder Verwebung eines Mannes und einer Frau gleichen Alters zur Zeit der Fruchtbarkeitsperiode. Sie verbanden sich in der Hoffnung, ein Kind zu zeugen, das sie als nerh oder älteren Außenverwandten bezeichneten. Im Standardalter von fünfunddreißig trennten sich die beiden und suchten sich einen neuen Partner. Jedes Paar zeugte ein weiteres Kind, das man mit dem Wort toorh oder Innenverwandter bezeichnete. Danach verbanden sich die angenommenen Zweitpartner und zeugten ein letztes Kind, das sie thes oder jüngerer Außenverwandter nannten. Alle Personen lebten zusammen unter einem Dach.
In der Fruchtbarkeitsperiode verwoben sich die Innenverwandten, die ja untereinander nicht blutsverwandt waren, da sie verschiedene Eltern hatten und bildeten den Kern einer neuen Webe-Generation. Die nerh und thes gliederten sich als Zweitpartner in andere Weben ein. Somit verteilte sich jede Kindergeneration auf insgesamt drei Weben. Dieser Prozeß verbreiterte die genetische Basis, verhinderte Inzuchtserscheinungen und stabilisierte artspezifische Wesenszüge.
Sobald die innenverwandten Halbgeschwister sich verwoben hatten, gingen die Eltern der alten Webe ihre eigenen Wege und überließen das Haus und alles, was dazugehörte, der neuen Generation. Sie waren frei von jeglicher Verantwortung und konnten tun und lassen, was sie wollten. Einige blieben zusammen, andere suchten ihr Glück allein.
Soweit die Fakten; aber nur wenige Menschen – wenn überhaupt jemand – hatten eine Vorstellung davon, wie dies alles
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