Morgenrötes Krieger
würde. Er dachte an nichts – nur an diesen plötzlichen, schmerzhaften Treffer. Aber sein Gegner nahm den Vorteil nicht wahr, brach statt dessen aus seiner Deckung, rannte los und versuchte zu entkommen. Ganz klar! Er war der letzte. Bevor Han laden und schießen konnte, vollführte die Gestalt plötzlich einen wilden Satz, schlug auf den hartgefrorenen Boden und wälzte sich zuckend und um sich schlagend in Todeskrämpfen. Dann bäumte er sich noch einmal auf und lag still. Han drehte sich um. Dicht hinter ihm stand Liszendir, eine Druckpistole in der Hand, das Gesicht im fahlen, schwachen Licht schmerzhaft verzerrt.
Sie schauten sich lange an, dann sagte sie mit gedämpfter Stimme: „Ich habe ihn damit in Schach gehalten, um dir Zeit zum Laden zu geben. Du hättest ihn erwischt, wenn er versucht hätte zu schießen, da er zwischen uns beiden wählen mußte. Aber statt dessen rannte er weg. Er wäre außer Schußweite gekommen, deshalb habe ich es getan. Irgendwann einmal muß jedes Gesetz gebrochen werden. Unter gewissen Umständen ist keines ohne Ausnahme – jetzt habe ich einer solchen von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden.“ So locker sie auch die Worte hervorstieß, man spürte deutlich, welch hohen Preis sie dafür bezahlt hatte. Sie, die kühl Überlegende, die Unerschütterliche, die in ihrer Jugend jeglicher Leidenschaft entbehrt hatte und ihr aus dem Weg gegangen war – sie hatte zwei Verbote gebrochen. Han berührte innerlich bewegt ihre Schulter. Sie wandte sich ab, schaute aber zurück. „Und von nun an und für alle Zeiten werde ich Liszendir die Eidesbrecherin sein. Niemand sonst ist so weit gegangen.“ Han konnte ihr nichts darauf antworten. Plötzlich verschwand dieses Gefühl der Vertrautheit und der Nähe zwischen ihnen, das seit jenem Tag, da sie zusammen in Boomtown an Bord des Schiffes gegangen waren, zu immer stärkerer Entfaltung gekommen war. Dieser Vorfall war etwas, zu dem sie niemals im echten Sinne stehen konnte. Ein Gebäude in Hans Innerem, das so fest gefügt schien wie jene Berge im Westen, löste sich auf in Nebel, zog sich zusammen und verschwand. Illusionen, das war es gewesen – Phantome. Ihre tiefsten Gefühle und Zuneigungen waren nichts als Phantome. Dann fing er sich wieder. Der Geschwindigkeit des Lichtes gleich versank Liszendir aus dem vollen Farbspektrum seines Denkens und Fühlens in die Unsichtbarkeit und Ruhe der spektralen Rotzone. Es wurde still – nun war sie endgültig ein Teil seiner Vergangenheit.
Han verließ sie und ging hinüber zum letzten der Wachtposten. Er nahm ihm den Umhang ab, betastete den Körper, der die Eigenwärme trotz des kalten Wetters schneller verlor, als es in solchen Fällen üblich war. Er konnte einige äußerliche Unterschiede feststellen, worin sie im einzelnen bestanden, konnte er jedoch nicht genau sagen. Er sah einem Ler verteufelt ähnlich – sicherlich nur Maske. Versucheshalber drückte er auf jene Körpergegend, wo gewöhnlich die Rippen saßen. Es fühlte sich merkwürdig an, nicht wie Knochen, eher wie eine Knorpelhülle – glatt, in einem Stück. Seltsam …
Er ging zurück zu den anderen, die inzwischen nach draußen gekommen waren. Er sagte: „Zu unserem Schiff – schnell! Wir fliegen hinüber zu Hathas Schlachtschiff. Wir müssen beide vom Planeten wegbringen – zurück in den Raum, jetzt gleich, bevor wir noch einmal in so was hineingeraten.“
Anscheinend aber gab es keine weiteren von diesen Kreaturen in unmittelbarer Umgebung, denn sie blieben von ähnlichen Zwischenfällen verschont. Ungehindert und ohne Feindberührung erreichten sie die Pallenber. Die Dinge hatten sich so zugespitzt, daß sie weder Zeit verlieren noch ein Risiko eingehen durften. Hatha hatte sich wieder gefangen und gab Kostproben seines Temperaments: Er schäumte und kochte vor Wut. Nachdem Han die Pallenber aktiviert hatte, kam Usteyin zu ihm in den Kontrollraum. Sie trug noch immer das kleine Bündel mit ihren Habseligkeiten bei sich, dazu das Schwert.
„Ich habe so etwas noch nie getan, nie davon geträumt, nie versucht, es in meinen Geschichtensammler einzugeben. Aber er … dieses Ding … hat versucht, dich zu töten, dich mehr als alle anderen von uns – denn du hast ihn enttarnt, und er wußte, daß nur du seinen Herrn und Meister finden könntest. Und ich? – Was ist schon der Tod? Nur ein kurzes Ende. Leid und Schmerz sind kurz. Dich aber zu verlieren, ist ein Preis, den ich nicht zahlen wollte.“ Sie
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