Morgenrötes Krieger
betraten sie vorsichtig Avings Burg.
Drinnen war es ebenso kalt wie im Innenhof. Usteyin flüsterte Han zu: „Sie sind alle fort. Keiner zu sehen. Sie sind geflohen, bevor das Schiff zerstört wurde – vor vielen Stunden schon. Dieser Ort ist kalt und tot.“
„Wie ist das möglich? Sie haben doch höchstens eine Stunde Vorsprung. Es müßte eigentlich noch warm hier sein.“
„Erinnerst du dich? Als ich meinen Geschichtensammler befragte – auf dem Schiff? Ich sagte, daß sie mich sehen konnten, mit einem Sinn, den ich nicht begreife, einer Nicht-Sicht oder etwas, das so ähnlich funktioniert. Vielleicht haben sie dann Alarm geschlagen.“
Als sie die düstere Burg durchforschten, bemerkte Han, daß sie recht hatte – keiner da, seit Stunden schon mußten sie fort sein, länger auf jeden Fall als seit dem Zeitpunkt, da Hatha sich auf das Schiff der Fremden gestürzt hatte. Überall gab es Anzeichen eines hastigen, übereilten Aufbruchs. Verstreut lagen Unmengen von Kisten und Kästen herum; zudem fanden sie in einigen Gängen mehrere Leichen: einige waren Ler, andere Menschen. Keiner von ihnen war ein fremdrassiges Wesen. Es mußte ein Kampf stattgefunden haben; worum es dabei gegangen war, blieb unersichtlich, vielleicht um Wertsachen oder sonstwas.
Als sie in die Haupthalle kamen und jenen Korridor gefunden hatten, den Aving beim Eintreten benutzt hatte, sagte Han zu Usteyin: „Als Liszendir und ich damals hier waren, hatten sie eine Musikergruppe, die während des Abendessens spielte. Zu dem damaligen Zeitpunkt wußte ich noch nichts über die Klesh. Ich dachte, sie seien allesamt Mitglieder einer einzigen Familie, einer Kaste, einem Volksstamm, einer Sippe oder ähnlichem. Sie waren sich genauso ähnlich wie die Zlats untereinander.“
„Musik? Sie haben tatsächlich etwas getan? Du weißt ja selbst, daß die meisten Klesh schon lange ihre praktischen Naturanlagen verloren haben, weil sie ganz auf ihre Anwendung verzichteten. Ich kann mir nicht vorstellen, welchen Typus du da gesehen hast.“
„Unter den Toten jedenfalls war keiner zu finden. Sie hatten einen leichten Körperbau, waren aber nicht besonders hübsch, eher bieder. Braune Haare, etwas gewellt, und große Nasen – nicht so groß wie bei den Haydars, aber größer als deine und kleiner als meine.“
„Aha! Das waren bestimmt Peynir. Ich wußte nicht, daß es noch welche gibt. Gewöhnlich weiß jeder über die anderen so ungefähr Bescheid; man sagt, daß sie ebenso alt seien wie die Zlats.“
Ein Stück weiter, am Ende einer Treppenflucht, hatten sie mehr Glück. In einem engen tapezierten Zimmer fanden sie ein Funksprechgerät oder jedenfalls etwas, das einem solchen sehr ähnlich sah. Deutlich wurde dies vor allem wegen eines sonderbar geformten Mikrophons und den daneben liegenden Kopfhörern. Der Kasten selbst gab nichts weiter her; sie berührten nichts und versuchten auch nicht, an ihm herumzuhantieren. Es gab verschiedene Druckknöpfe, Schalter und Klarsichtfensterchen, die wohl den Zweck von Instrumentenanzeigen erfüllten, jetzt aber nichts mehr anzuzeigen hatten. Kein Anzeichen einer Energieversorgung. Ein paar schriftliche Unterlagen, für beide jedoch unleserlich: eng aneinandergereihte Linien in einer geheimnisvollen und unendlichen Variation ihrer Dicke.
Han sagte mehr zu sich selbst: „Die Krieger besaßen eine altertümliche Radarausrüstung mit mechanisch steuerbaren Antennen, aber sie hatten kein Radio. Fast so, als wenn wir trotz unseres Sprechvermögens allein mit dem Gehör versuchen wollten, das Geschehen um uns herum wahrzunehmen. So konnte Aving auf jeder beliebigen Wellenlänge mit dem Schiff Kontakt aufnehmen. Niemand auf diesem Planeten konnte ihn hören. Die beste Möglichkeit war sicherlich der Sprechverkehr auf einer langen Frequenz. Auf diese Weise konnte er die Antenne in den Boden verlegen und unterhalb der Frequenz der magnetischen Stürme mit seiner Kommandozentrale sprechen.“
Usteyin flüsterte, wobei ihr Atem in der Kälte gefror: „Ich verstehe nicht, was du da sagst. Es hört sich an, als sei dieser Aving ein Zauberer –, was auch für dich gilt. Du bist sogar ein noch größerer Zauberer, denn wäre es nicht so, wie könntest du sonst dies alles hier begreifen? Aber warte! Schau aus dem Fenster!“
Han ging zu dem einzigen Fenster, das der Raum hatte, und schaute nach draußen. Die Sicht ging nach Norden, und dort am Horizont konnte er die Sonne sehen, umgeben von einem Himmel, der in
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