Morgenroetes Krieger
bezog sich auf jene Schußwaffe, die sie in Efrems Wohnung gefunden hatten. Sie hatte eine regelrechte A b scheu davor; offensichtlich waren solche Schußwaffen für sie in einem rituellen Sinne unrein. Er erinnerte sich, daß sie nur mit größtem Widerwillen die Pistole angefaßt hatte; als er sie dazu befragte, war ihre Antwort äußerst mager und zurückhaltend. Sie erschauerte dabei und meinte fast traurig: „Kein Ler – vor allem kein Angeh ö riger der Karen-Gemeinschaft – würde ein derart wide r wärtiges Ding auch nur berühren.“ Sie machte mit der linken Hand, auf der sich das Yin-Yang-Zeichen befand, eine seltsame Geste. Das war alles, was er aus ihr he r auskriegen konnte.
Als sie aßen, sprachen sie über sexuelle Probleme. E i gentlich wollte Han dieses Thema ausklammern, aber er spürte, daß es unvermeidlich war: Offensichtlich lag der Grund darin, daß zwischen ihnen eine gewisse erotische Spannung entstanden war. Han war kein Anfänger und auch nicht schüchtern oder beschämt wegen der Dinge, die er getan und erlebt hatte. Dennoch widerstrebte es ihm, in aller Ausführlichkeit über seine früheren Abe n teuer zu sprechen. Liszendir jedoch hatte keinerlei He m mungen, im Gegenteil, es erregte sie, in allen Einzelhe i ten über diesen Aspekt in ihren beiden Lebenswegen zu diskutieren. Eine Zeitlang tauschten sie recht bede u tungslose Geschichten aus, wobei man erkennen konnte, daß es zwischen ihnen in diesem Punkt große Unte r schiede gab.
„Vor allem staune ich darüber, daß ihr so lange damit wartet“, sagte sie. „Zuerst befaßt ihr euch mit eurer Pe r sönlichkeit und Identität und erst später – manchmal erst, wenn ihr Eltern geworden seid – mit eurer eigenen S e xualität. Bei uns ist es geradezu umgekehrt. Wir kü m mern uns um unsere eigene Persönlichkeit erst dann, wenn wir uns verwoben und Kinder bekommen haben.
Ich will dir erzählen, wie es bei mir lief – nicht so sehr, um deine Neugier zu befriedigen, sondern vielmehr, um es für mich selber noch einmal durchzudenken. Nach unseren Vorstellungen bin ich eigentlich sehr spät auf die Idee gekommen. Als Kinder sind wir sehr frei: Wir kö n nen tun, was wir wollen, die körperliche Neugier wird eher noch gefördert. Hinzu kommt, daß wir bei mildem Wetter keine Kleider tragen. So kannst du als Kind oder hazh, das heißt als vorpubertäres Kind, eine Menge ju n ger Leute, genannt chidhas, sehen, die beständig Liebe s spiele miteinander treiben; niemand versucht krampfhaft, sich dabei zu verstecken. Allerdings hat man als Kind an derlei Dingen kein weiteres Interesse – es ist nur k o misch, verstehst du? Aber eines Tages findet man es nicht mehr so komisch und will es selber probieren.“
Sie zögerte einen Moment lang, als grabe sie in ihren Erinnerungen, um sie noch einmal auszukosten und ihren Gehalt abzuwägen. Sie lächelte schwach. „Wie ich schon sagte, war ich recht spät dran. All meine gleichaltrigen Freunde stürzten sich wie wild auf dieses neuentdeckte Spiel, das sie nun miteinander treiben konnten. Ich selbst verstand gar nicht, warum es solche Wichtigkeit hatte. Eines Tages badeten wir nicht weit von unserem yos. Es war sehr warm, und ein Junge, Fithgwinjir mit Namen, den ich gut kannte, führte mich zum Strand. Ich hatte ein merkwürdiges und fremdartiges Gefühl. Ich sah, daß er anders war. Aber alles, was ich dabei empfand, war eine erwartungsvolle Spannung. Er sagte: ‚Liszen, laß es uns jetzt zusammen tun!’ Das war das erste Mal, daß mich jemand mit meinem Liebesnamen ansprach. Gewöhnlich benutzen wir als Kinder nur die erste Silbe des Namens. Die ersten beiden, wenn wir ins Reifealter kommen, sp ä ter dann alle drei. Ich sagte ihm daraufhin, daß ich nicht wüßte, wie man es macht. Er meinte, er werde es mir zeigen. Wir küßten uns und legten uns in den warmen Sand. Von den anderen schauten einige zu – aber nicht alle. Es hatte für sie keine Bedeutung: Wir waren ma d hainimoni, jene, die miteinander Liebe machten. Für mich aber war das Ganze von immenser Bedeutung. Ich hatte das Gefühl, von innen nach außen gekehrt zu we r den. Und natürlich liebte ich Fithgwin.
Danach wollte ich mit jemandem sprechen, wußte aber, daß die anderen Kinder bloß lachen würden; sie waren mir schon weit voraus, all das war nichts Neues für sie. Ich war damals zehn, meine Innenverwandten waren ungefähr fünf; sie wußten also noch nichts davon, und meine thes, Vindharmaz , war gerade im
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