Morgenroetes Krieger
weit er bei seinem Landungsflug abgetrieben worden war. Er vermutete, um einige Grade nach Westen. Somit mußte er den Weg nach Südwesten einschlagen. Han griff sich sein Rettungspäckchen, warf es über die Schulter und machte sich, vorsichtig durch die schweigende Dunkelheit tastend, auf den Weg. Sein Messer hielt er griffbereit; er wußte so gut wie nichts über das Leben der einheimischen Tiere auf Chalcedon – im Falle einer hautnahen Lektion würde er sie sein Leben lang nicht mehr vergessen.
Tagelang wanderte er durch ein leeres, unbewohntes Land. Chalcedon war kein völlig flacher Planet; er hatte eine sanft gewellte Oberfläche, manchmal eher hügelig, dann wieder eben wie ein Brett. Er überquerte vom R e gen angeschwollene Flüsse und marschierte mit einer Planmäßigkeit und Routine, die sich jeden Tag aufs neue wiederholte: von Sonnenaufgang bis kurz vor Mittag, dann Pause, vom späten Nachmittag bis nach Anbruch der Nacht, dann wieder Pause. Er merkte, daß er sich mit seiner Marscheinteilung kaum an die langen Tageszyklen von Chalcedon gewöhnen würde. Allmählich bekam er ein Gespür für den neuen Zeitrhythmus; ein Tag hatte fast 32 Standardstunden, ohne jegliche Schwankungen. Es war für ihn jedoch unmöglich abzuschätzen, wie weit er bisher gegangen war; es gab keine Landmarkierungen in weitem Umkreis. Die Hügel oder Bodenschwellen w a ren einander im Aussehen zu ähnlich.
Auch konnte er keine Tiere entdecken, obwohl er bei Nacht ab und zu weit entfernte Schreie vernahm. Vögel sah er ebenfalls nicht – anscheinend gab es auf dem ga n zen Planeten keine –, eine Tatsache, die ihn nicht beso n ders froh stimmte. Daß die Früchte eßbar waren, wußte er aus seiner Studienzeit, ebenso, daß es keinerlei giftige Pflanzen in der Chalcedon-Flora gab – es war ein freun d licher Planet, vielleicht der freundlichste im ganzen Un i versum. Die Früchte waren ein angenehmer Ausgleich zu seinem Nahrungskonzentrat, das er wegen seines schrecklichen Geschmacks nur mit größter Gelassenheit hinunterwürgen konnte. So marschierte er drauflos, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was er wohl tun würde, wenn er plötzlich auf bewohntes Gebiet stieße.
Müde vom dauernden Auf und Ab seines täglichen Marschpensums, hatte sich Han schließlich einen näch t lichen Rastplatz gesucht. Er lag in einem dichten Gehölz wohlriechender Bäume – mitten in einer schmalen Senke. So bemerkte er lange Zeit gar nicht den schwachen Lichtschein, der sich über einen Teil des horizontnahen Himmels ausbreitete. Erst später, als er aus routinemäß i ger Vorsicht das Gehölz umrundete, wurde er sich dieses Lichts bewußt. Aber er war zu müde und fühlte sich zu zerschlagen, um sich darüber aufzuregen oder um mehr dahinter zu vermuten als eine der üblichen Naturersche i nungen. Er ließ sein Gepäck zurück und erklomm, schon etwas weich und schwach in den Knien, die Kuppe der nächstliegenden Bodenschwelle.
Von oben blickte er hinunter in ein breites, flaches Tal, das sich so weit hinzog, daß er selbst mit seinem inzwischen geübten Nachtblick die gegenüberliegende Anhöhe nicht erkennen konnte. Aber das war es auch nicht, was ihn interessierte. Lichter sah er – schwach nur, sicherlich, aber dennoch Lichter, gleich erleuchteten Fe n stern in der Dunkelheit. Nicht nur eines – nein, viele, so viele, als befinde sich dort unten eine kleine Dorfg e meinde. Es war der herrlichste Anblick, an der er sich je erinnern konnte. Seine Müdigkeit vergessend, machte er sich auf und ging den Abhang hinunter auf die Lichte r punkte zu; unterwegs sprach er laut die Geschichte, die er den Leuten erzählen wollte, vor sich hin – und zwar in allen Einzelheiten, wobei er nur die Anzahl der Marsc h tage aussparte, da er jegliches Zeitgefühl für die Dauer seines Irrweges verloren hatte.
Als er seinem Ziel näher kam – ein Prozeß, der kein E n de zu nehmen schien, da die klare Luft die Distanz stark verkürzte –, schlug seine anfängliche Euphorie in Enttä u schung um: Ein Licht nach dem anderen verlösc h te, bis auf ein paar wenige, die – dicht an dicht – zu e i nem einzigen Haus gehörten. Han hatte gehofft, auf eine Menschensie d lung gestoßen zu sein, aber dies hier war ganz offensich t lich ein Ler-Dorf, was er undeutlich an den U m rissen der Häuser zu erkennen glaubte. Menschen lebten nicht in niedrigen, unregelmäßig geformten E l lipsoiden. Die Webe-Häuser hießen bei ihnen yos. Er war nun
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