Morgenroetes Krieger
über ihre vier seltsamen kabbalistischen Bede u tungsformen. Dann erzählte er auch seine eigene G e schichte, alles, was er in Ghazh’in erlebt und gelernt ha t te. Als er am Ende war, meinte sie: „Du hast viel ve r standen, viel gelernt und bist tief in unser Wesen eing e drungen. Insofern war dies alles zumindest nicht ganz umsonst. Und obwohl dein Akzent schrecklich ist, schlimmer als der von Hath’ingar, nachdem er die Maske hat fallen la s sen, klingt es doch lieblich in meinem Ohr.“ Sie zog ihn an sich, umarmte ihn und hielt ihn eine Zei t lang eng an sich gepreßt. Han war verwirrt und verlegen durch diesen für sie so untypischen Gefühlsausbruch. Sie hatte in der Tat auf dem langen Marsch ihre Selbstko n trolle eingebüßt.
Sie fühlte, was er dachte. „Ich war allein, völlig allein. Noch nie in meinem Leben bin ich bisher so allein gew e sen. Manchmal hatte ich Halluzinationen – ich wußte selbst nicht mehr, ob es nur Erinnerungsbilder oder reale Dinge waren: frühere Liebhaber, Freunde, selbst du. Ich war völlig wirr im Kopf. Und jetzt habe ich dich hier g e funden, aber du bist nicht mehr der typische Mensch, du sprichst Single-Sprache – poor kenjureith – und pflegst meine Wunden, als wärst du mein intimster Freund. Noch so ein Vorfall zwischen uns beiden, und ich muß dir meinen Körper-Namen nennen, einen Namen, den niemand außerhalb meiner Webe kennt.“
Er ließ sie weiter Dampf ablassen, bis sie allmählich in ein tiefsinniges Schweigen verfiel. Dann stand er auf und brachte nach langem Stöbern zwischen alten und abg e tragenen Sachen ein neues Kleid zum Vorschein, das er eigens für sie gekauft hatte, und das mit Reben und Bl u men im ländlichen Stil der hiesigen Gegend bestickt war.
„Ich weiß, es ist nicht nach deinem Geschmack, Li s zendir, aber ich dachte mir, daß du auf unserer Reise mit einer solchen Bekleidung weniger Aufsehen erregst. Die Leute werden dich für eine Einheimische halten. Kann natürlich auch sein, daß so ein Paar wie wir zwei trotz aller Verkleidung auffällt, auch wenn wir in Mehlsäcken einhergingen.“
Sie drehte sich um und lachte lauthals. Dann brach sie plötzlich ab. Sie war wieder die alte: streng und spröde. „Was wird nun mit uns?“
„Ich weiß es selbst nicht. Die Wahrscheinlichkeit, in naher oder auch in weiterer Zukunft von Chalcedon we g zukommen, ist äußerst gering. Die Pallenber war seit Efrems Besuch das erste Raumschiff – und davor kam das letzte vor zehn Jahren vorbei. Chalcedon liegt sehr weit ab von allen gängigen Routen. Und wenn die Kri e ger nicht zurückkommen, so müssen wir davon ausg e hen, hier zu versauern – bis zu dem Zeitpunkt deiner Fruchtbarkeit.“
„So steht es also?“
„Ja, ich dachte schon daran, zu dem Hügel mit den beiden Felsenspitzen zu gehen, wo wir uns ursprünglich treffen wollten. Wir könnten versuchen, etwas Geld au f zutreiben, um dort auf das erste Raumschiff zu warten. In die Hauptstadt können wir auf keinen Fall, nicht mal für kurze Zeit …“
„Nein. Eine Ratte – viele Ratten, sagt ein Sprichwort. Und genauso ist es. In der Hauptstadt können wir nicht auf ein Schiff warten. Warum also nicht die Hügel? Es gibt eigentlich nichts Besseres; wenigstens so lange nicht, bis meine Zeit gekommen ist.“
„Und wenn kein Schiff kommt, Liszendir?“ Er bee n dete den Gedanken nicht. Er wußte sehr gut, was passi e ren würde. Sie mußten beide ihren eigenen Weg, den Weg ihrer Völker, gehen. Etwas schwer Definierbares nahm zwischen ihnen Gestalt an.
„Ich weiß, daß es kommt.“ Das war alles, was sie sa g te.
5.
Ereignisse vollziehen sich in festgelegten Bahnen, jedes nach seiner eigenen Natur. Dinge gliedern sich nach festgelegten Einteilungen. Auf diese Weise offenbaren sich Veränderung und Umgestaltungen.
Hsi Tz’u Chuan
Die beiden blieben in Hobbs Basar nur noch so lange, bis Liszendir wieder genügend Kräfte gesammelt hatte, um reisen zu können. Schon unterwegs auf ihrem langen Marsch hatten ihre Handgelenke begonnen zu verheilen, aber sie waren nicht sauber zusammengewachsen, so daß sie, trotz ihrer zurückgewonnenen Funktionstüchtigkeit, die vor allem Hans streng verordneter Bettruhe zu ve r danken war, für alle Zeiten die Male ihrer Verletzungen behalten würde.
Als Liszendir erklärte, daß sie bereit zur Abreise wäre, nahmen sie Hans verdientes Geld und kauften dafür Pr o viant und ein Packtier, einen drif – einer von jener Sorte, die
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