Morgenroetes Krieger
Bericht.
Sie fuhr gelöst und eifrig fort. „Du weißt jetzt über uns, daß wir nach unserer Einwebung und nachdem wir Kinder bekommen und sie großgezogen haben, frei sind und fortgehen, um allein zu leben. Viele bleiben ung e bunden. Wenn einer von ihnen sein Ende nahen fühlt, geht er von dannen, um sein Seelenheil – wir nennen es tsanziraf – zu suchen. Manchmal kommt man wieder zu Kräften und weiß, daß man sich geirrt hatte – daß die Zeit noch nicht reif war. Oder aber es ist wirklich das Ende. Auf jeden Fall löst es das Problem. Es gibt viel wildes Land auf den Ler-Welten; das tsanziraf muß in der Wildnis stattfinden. Wenn du stirbst, dann dort, wo du dich niederlegst. Wir kümmern uns nicht um die Toten. Das besorgen sie selber. Vielleicht sollte ich dir nicht s o viel davon erzählen – es handelt sich immerhin um unsere tiefsten religiösen Überzeugungen. Aber es ist so – so und nicht anders. Der Leib kehrt zur Erde zurück. Findet man ein Skelett in der Wildnis, so ist es ein gutes Omen; es bedeutet nämlich, daß jemand hier war – am Ende eines erfüllten Lebens.“
„Aber dies hier ist ein menschliches Skelett, keines von einem Ler. Er starb nicht in Frieden und auch nicht eins mit sich und der Welt; ein armer Teufel – höchs t wahrscheinlich halb wahnsinnig vor Angst.“
Mit einer Handbewegung überging sie seinen Ei n wand. „Macht nichts, macht gar nichts … also ein Mensch, dieser Goldwäscher? Bedenke doch, so einer muß mit sich selbst im reinen sein, wenn er den Wel t raum durcheilt und dann allein an diesen Ort wandert. Ich kenne den Zauber des Goldes, aber er ändert nicht den Charakter, so sehr wir auch nach ihm gieren. Könntest du das machen? Du würdest abwinken und mir tausenderlei Vernunftsgründe nennen; du bist jung, willst Gesel l schaft, Freunde, Liebschaften, willst so leben, wie es de i ner Art und deinen Vorstellungen entspricht. Ich weiß das, weil ich ebenso empfinde. Ich selbst würde niemals allein an diesem Ort verweilen. Ich kann nicht allein l e ben.“ Einen Moment lang zögerte sie, wurde nachden k lich und in sich gekehrt. Dann fuhr sie fort. „Eigentlich sollte ich schon jetzt die ersten Versuche unternehmen, neue Innenverwandte zu suchen, um mich bei komme n der Fruchtbarkeit verweben zu können und Kinder zu gebären. Aber zurück zu ihm! Er war sicherlich goldgi e rig und unausgeglichen. Aber falls er länger blieb, so glaube ich, daß er zur Einsicht gelangte. Auch Menschen erreichen sie; der einzige Unterschied zwischen unseren Arten besteht darin, daß ihr es mehr wollen müßt. A n dernfalls wäre er nicht geblieben, sondern hätte seine Tage dort unten in der Stadt beendet und sich wie die anderen alten Leute vor sich selbst versteckt.“
Sie mußten zugeben, ob nun Omen oder nicht, daß dem Platz eine wilde Schönheit zu eigen war. Die Hütte lag ungefähr auf halber Strecke jenes felsigen Hohlw e ges, der parallel zur Anhöhe verlief. Oben waren die be i den Felsspitzen, die man von der Hauptstadt aus am H o rizont erkennen konnte. Überall gab es Bäume und an manchen Stellen dichtes Buschwerk. Der Fluß wand sich durch die Felsen und tönte von jenen Dingen, die ein j e der Fluß zu erzählen hat: Erde und Steine, Regen, Sonne und Schatten. Das Sonnenlicht spielte auf der Anhöhe, und unten auf der Ebene huschten Wolkenschatten lan g sam und gemessen über das Land. Im felsigen Hohlweg wehte eine ständige Brise, und von den Felsenspitzen aus hatte man eine phantastische Aussicht, ganz ungewöh n lich für einen Planeten mit dieser Oberflächengestaltung. Zugegeben, es war ein einsamer, abgelegener Ort, aber er war ruhig und regte zum Nachdenken an.
Nach einigen Tagen gemeinsamen Wohnens und Arbe i tens kam der Punkt, wo sie beide merkten, daß es zw i schen ihnen ein gewisses Problem gab. Sie lebten jetzt sehr eng zusammen, in unmittelbarer körperlicher Nähe, was einerseits auf die begrenzte Räumlichkeit der Hütte zurückzuführen war, zum anderen auf eine seit Ankunft auf Chalcedon entwickelte gedankliche Gemeinsamkeit und gefühlsmäßige Übereinstimmung. Eines Abends, als sie es sich gemütlich gemacht hatten, begannen sie über dieses Thema zu sprechen.
Han begann mit dem Eingeständnis, daß er ihre Nähe im Augenblick verwirrender fand als vorher auf dem Raumschiff. Sie lachte nur, spottete und neckte ihn.
„Wie denn? In Ghazh’in hast du monatelang mit Ler – fruchtbaren Ler – zusammengelebt. Aber sie haben
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