Morgenrot
Tränen aus den Augen und leckte sich die geschwollenen Lippen. Lea schenkte ihm ein unsicheres Lächeln, das er schwach erwiderte.
»Hallo, dort unten, wie wäre es mit ein wenig Aufmerksamkeit? Schließlich hat der Kollektor hier etwas Leckeres für unser liebes Lea-Kätzchen.« Die Gestalt deutete mit der behandschuhten Hand auf ein geschnürtes Bündel. Dabei beugte sie sich gefährlich weit über den Vorsprung, um das Geschehen auf dem Grund der Höhle besser beobachten zu können.
Sie fühlte sich wie eine elende Verräterin, dennoch klebte Leas Blick an dem Bündel. Mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass sie seit dem Frühstück am See nichts mehr gegessen hatte. Was auch immer es zum Inhalt haben mochte, es würde sich in ihrem Magen gewiss gut anfühlen. Blieb nur zu hoffen, dass der Kollektor von ihr als Gegenleistung kein Schnurren erwartete. Denn sie wollte nur ungern den spärlichen Rest von Würde, der ihr in diesem Käfig geblieben war, in Adams Anwesenheit einbüßen. »Ich hoffe, es sind keine Fischköpfe«, sagte sie deshalb betont gleichmütig.
»Kein Interesse an diesem Angebot? Wie schade«, sagte der Kollektor heuchlerisch. Er hatte sich kerzengerade aufgesetzt und betrachtete die Szenerie vor ihm in der Tiefe wie ein römischer Kaiser, der sich noch nicht genug auf Kosten der Todgeweihten amüsiert hatte.
»Was für ein Spiel soll das denn sein?«, fragte Adam unvermittelt mit gepresster Stimme und unterbrach damit den Schlagabtausch. Offensichtlich hatte er gerade erst festgestellt, dass er keinen einzigen Faden am Leib trug. In all der Aufregung war Lea dieser Umstand schon ganz normal vorgekommen.
»Braucht er sich nicht zu beklagen, schließlich trägt er doch ein Fell.« Der Mund des Kollektors verzog sich zu einem Lächeln, dabei betastete er ängstlich mit den Fingern einen morschen Wangenknochen.
Zuerst blickte Adam irritiert drein, dann genervt. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die noch vor einigen Minuten unmöglich gewesen wäre, kam er auf die Beine, legte den Kopf in den Nacken und stierte die Gestalt abwartend an.
Der Kollektor ließ den Fächer wieder aufschnappen.
Immer schön fächeln, dachte Lea gehässig. Vielleicht kühlt sich die Luft dadurch noch weiter ab, und bei diesem Zustand ist die konservierende Wirkung von Kälte sicherlich nicht das Verkehrteste. Trotz ihrer Abneigung befürchtete sie, dass sich der Kollektor erheben und fortgehen könnte. Ganz gleich, wie erniedrigend es auch sein mochte, seinen neugierigen Blicken ausgeliefert zu sein, so war das gewiss besser, als ohne jegliche Antworten in dieser Höhle festzusitzen.
Nachdem der Kollektor eine Weile seinen Gedanken nachgehangen hatte - wobei er jegliches Mimikspiel auf ein Minimum reduzierte -, sagte er schließlich: »Normalerweise beschränkt sich der Kollektor auf das Beobachten von Objekten. Die Situation hier ist demnach recht befremdlich, nicht wahr? Was soll der Kollektor nur von seiner Person halten, wenn er plötzlich anfängt, mit den Objekten zu sprechen, ha! Verrückt, vollkommen verrückt!« Er stieß ein freudloses Lachen aus und lauschte einenAugenblick lang dem Echo, das dem Lachenfolgte. »Aber was nutzt all die Aufregung, denn es ist längst entschieden. Das Blut ist hier, der Forscher fort, die Zeit fliegt uns davon. Nein, es ist nicht zu leugnen: Wir steuern auf ein Finale zu!«
Lea erkannte nun, worin die Verbindung zwischen dem Kollektor und dem Genforscher Akinora bestand. Wonach sich der Kollektor so dringlich sehnte, verriet sein von einer missglückten Verwandlung entstelltes Gesicht: Der Dämon hatte seinen Tempel nicht vollständig bezogen, deshalb lag der menschlich gebliebene Teil des Kollektors im Sterben.Wie lange sich dieser einst makellos schöne Mann wohl der ewigen Jugend sicher gewähnt hatte, ehe ihm der Betrug des Dämons bewusst geworden war? Nur einen Augenblick oder ein halbes Leben lang?
Kein Wunder, dass Adalbert in dem Höhlenlabyrinth des Kollektors ein Zuhause gefunden hatte: Die beiden Außenseiter verband wahre Seelenverwandtschaft, denn beide waren sie erfüllt von der Sehnsucht nach dem Dämon und der Wut darüber, dass er sie abwies. Nun, was die Sehnsüchte des Handlangers Maiberg anbelangte, der sich stets in Adalberts Schatten verbarg, so wollte Lea das lieber nicht so genau wissen.
Während sie langsam neben Adam trat, ließ sie sich die Worte des Kollektors durch den Kopf gehen. Akinora musste seinem Geldgeber gegenüber etwas angedeutet
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