Morgenrot
beladen war, beäugte ihn kritisch und machte dann einen weiten Bogen um ihn. Wahrscheinlich hielt sie ihn für einen Betrunkenen. Dabei wäreErtrinkender passender gewesen, denn so fühlte er sich: Über ihm schlugen die Wogen brausend zusammen, während er von seiner Angst in die Tiefe gerissen wurde. Angst wovor? Anstelle einer Antwort krampfte sich Adams Magen erneut zusammen.
Während er nach Luft schnappte, brannte das Drängen des Dämons auf. Warum die ganze Sorge?, wisperte er im vielstimmigen Chor. Wenn Lea erst einmal unser ist, kann nichts und niemand ihr mehr etwas anhaben.
Instinktiv bleckte Adam die Zähne, als wolle er nach dem unverfrorenen Flüsterer schnappen. Die Gier des Dämons, endlich seinen erwählten Tempel in Besitz zu nehmen, widerte ihn noch mehr an als sein eigenes Bedürfnis, Lea nahe zu sein. Lea mit ihren überschäumenden Gefühlen und ihrer verletzlichen Seele - das perfekte Opfer für Dämon und Mann.
Doch von solchen Gedanken ließ der Dämon sich nicht zurückdrängen: Er brüllte, er schmeichelte, er quälte und lockte unentwegt. Adam stand da, die Schulterblätter hart gegen die Mauerwand gepresst, und hoffte darauf, dass die Stimmen und der brennende Schmerz irgendwann nachließen.
Ein junger Mann ging an ihm vorbei und warf ihm einen fragenden Blick zu. Augenblicklich verstummte der Dämon. Ein Friedensangebot. Adam brauchte nicht lange, um es anzunehmen. Er erwiderte den Blick des Mannes und stieß sich von der Wand ab.
Als Lea aufwachte, saß Professor Carriere auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Er hatte die Beine elegant übergeschlagen und ein geöffnetes Buch auf dem oberen Knie liegen. Nachdem sich ihre Blicke gekreuzt hatten, legte er sorgfältig einen Finger auf die gerade gelesene Zeile; dort blieb er das ganze folgende Gespräch über liegen.
Ein nebliger Film lag über Leas Augen, und sie musste einige Male blinzeln, bis sie endlich scharf sehen konnte. Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand feinen Sand in die Augen gestreut. Sie spielte kurz mit dem Gedanken, die Hand unter der schweren Bettdecke hervorzuziehen, verwarf ihn aber sofort wieder.Allein das Blinzeln war schon anstrengend genug gewesen.
Draußen mochte das erste Tageslicht trübe seine Finger ausstrecken, doch die schweren Stoffvorhänge schlössen es gnädig aus.
»Es freut mich, dass es Ihnen besser geht«, sagte Professor Carriere und schenkte Lea ein aufrichtiges Lächeln. »Wie gut, dass unsere Anna über so hervorragende Kontakte zum Schwarzmarkt verfügt. Wo sonst hätten wir so schnell ein anständiges Antibiotikum herbekommen, nicht wahr?«
Lea versuchte zu sprechen, doch der geschwollene, vor Schmerzen pochende Hals ließ das nicht zu. So brachte sie lediglich ein gekrächztes »großartig« hervor.
Allerdings machte Professor Carriere nicht den Eindruck, als komme ihm Leas erzwungene Schweigsamkeit ungelegen. Forschend beobachtete er ihr vor Erschöpfung gezeichnetes Gesicht, und Lea rang sich ein einladendes Lächeln ab. Nur zu gern wollte sie wissen, was dem Professor durch den Kopf ging.
»Adam lässt sich entschuldigen«, setzte er bedächtig an, »er war etwas ausgezehrt nach all der Aufregung in den letzten Tagen. Er ist unterwegs, um ... nun ja ... wieder ein wenig zu Kräften zu kommen. Sie verstehen schon, nicht wahr?« Professor Carriere sah Lea fragend und zugleich fordernd an. Kein Mitleid mit dem Feind - diese Seite kannte Lea bereits bestens an ihm. Adam war also auf Nahrungssuche, das hatte er ja wohl andeuten wollen.
Sie zuckte leichthin mit der Schulter, was sie ungeahnt viel Anstrengung kostete. Doch in Wirklichkeit verstörte sie Carrieres Anspielung, denn diesen Aspekt von Adams Existenz hatte sie all die Zeit tunlichst verdrängt. Nun spielte ihre Fantasie ihr einen Streich und zeigte ihr eine Auswahl an grausigen Bildern, zusammengesetzt aus tausend gesehenen Horrorfilmen ihrer Jugendtage. Die Anspannung ihres Kiefers ließsich nicht unterdrücken, ebenso nicht das leise Ächzen, das ihrer Kehle entglitt.
»Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten«, beschwichtigte der Professor sie. Dabei gelang es ihm allerdings nicht, den amüsierten Zug um seinen Mund zu verbergen. »Wenn Adam eine Spur ausgebluteter Leichen über die Stadt verteilen würde, hätten Sie dergleichen sicherlich längst der lokalen Presse entnommen.« Er hüstelte gekünstelt und schien sich in der Rolle eines Laiendarstellers zu gefallen. Anstelle von Applaus starrte Lea ihn
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