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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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der Mutter, noch gab es kein Kreuz, und zweitausend Jahre waren unter dem Sternenlicht verblaßt und ausgelöscht.
    Er schloß das Fenster. «Dieses Jahr hat es gewirkt», meinte er und wußte, daß er eines Tages über diese dunkeln Wintertage ein Stück schreiben würde; schon jetzt hörte er die Rufe der Wachen, den Tumult in der Schenke, den Chor der Engel in den Straßen der hochgelegenen kleinen Felsenstadt.
    «Es hat die Zeiten überdauert», sagte May. «Entweder hat sich damals etwas ereignet, was von ewiger Bedeutung für die Menschheit ist, oder die Menschen haben etwas erfunden, um eine ewige Sehnsucht zu stillen. Du wirst dich noch erkälten, wenn du nicht bald ins Bett kommst.»
    «Beides leuchtet ein», sagte Jocelyn. Gott, dachte er, was für ein Wunder das alles ist. Er starrte immer noch durch das Fenster. Aber draußen konnte er nichts erkennen. Im Fenster spiegelten sich nur der gemütliche Raum, seine Gestalt und die von May, die noch immer aufrecht im Bett saß und lächelte. Da gibt es noch ein anderes Wunder, dachte er. Diese Frau, die mir vor zehn Jahren noch vollkommen fremd war und jetzt Fleisch von meinem Fleische ist. Dieses Fleisch ist aber auch Geist, ist Lachen und Güte und Verständnis. Dieser Geist ist aber auch ein warmer, anschmiegsamer Leib. Diese Frau ist, wie alle guten Frauen, Mutter, Freundin, Gefährtin, Geliebte. Eine Gnade.
    «Komm ins Bett», sagte sie.
    Er drehte sich mit einem zögernden, nachdenklichen Lächeln herum. Dann löschte er das Licht und ging zu Bett; von dort, wo er lag, konnte er die Sterne sehen, die sich vorm Fenster drängten, und den Lichtschein, dort wo der Mond im Nebel versunken war.
     
    Als Gaylord aufwachte, erfüllte ihn der Gedanke an Weihnachten mit gemischten Gefühlen. Vermutlich würde er den ganzen Tag damit verbringen müssen, Fluchtwege zu suchen, um bloß Tante Bea zu entgehen. In seinem ganzen Leben war ihm noch nie eine so unersättliche Küsserin begegnet. Normales Küssen akzeptierte er, wie Regen oder Auf-die-Toilette-Gehen, als kleinere Unannehmlichkeit. Aber bei Tante Bea fühlte er sich nicht mehr Herr der Lage. Man kommt in ein Zimmer, und schon sitzt sie da und wartet darauf, sich auf einen zu stürzen und einen wie ein großer, in Tweed gekleideter Bär zu umärmeln. Und warum mußte sie immer «Hallo, Zuckerbübchen » sagen. Er hatte sich eine wohlüberlegte Retourkutsche ausgedacht: Hallo, Essigtantchen. Er fand das äußerst geistreich. Aber er wußte schon jetzt, daß Mummi es schlichtweg frech und vorlaut nennen würde. Und immer, wenn Gaylord etwas sagte, was von Mummi als frech und vorlaut bezeichnet wurde, kam er sich wie ein Schuft vor. Natürlich war das mächtig unlogisch, und er versuchte krampfhaft dagegen anzukämpfen. Aber es half nichts. Er kam sich eben wie ein Schuft vor.
    Immerhin gab es im Augenblick nettere Dinge, an die er denken konnte. Am Fußende seines Bettes lag das aufregendste Ding, das jemals von den gefallenen Eva-Kindern erfunden worden war, ein Kissenbezug voller Weihnachtsgeschenke. Gaylord richtete sich auf, trampelte über sein Bett und entleerte den Bezug auf sein Federbett. Ein Apfel, eine Apfelsine, ein Glückspfennig, eine Zuckermaus, und ein Dutzend verschiedene Päckchen.
    Welches mochte wohl der Briefbeschwerer sein? Gaylord dachte, während er abwechselnd von dem Apfel und der Zuckermaus abbiß, angestrengt nach. Aber es war nicht zu erraten. Also fing er an, auszupacken.
    Eine Trommel. Vielversprechend. Ein Trommelwirbel am frühen Morgen in Opas Zimmer würde viel wirkungsvoller sein als das Aufziehen der Vorhänge.
    Ein Stabilbaukasten. Gaylord war solchen Baukästen gegenüber immer etwas skeptisch. Niemals hatte man genug Einzelteile, um diesen Eiffelturm mit dem Licht oben bauen zu können.
    Eine Trompete. Es wurde immer besser. Wenn er es fertigbrächte, Trompete und Trommel gleichzeitig zu bearbeiten und außerdem noch einen Überraschungseffekt zu erzielen, würde es ihm vielleicht gelingen, Opa eines Morgens doch ein: Gott verdammt, daß dich der Teufel hole, zu entlocken.
    Ein kleines eisernes Pferdchen, dem oben aus dem Kopf zwei Büsche herauswuchsen. Es schien nichts weiter tun zu können. Absolut nichts. Weder konnte man es aufziehen noch konnte man es drücken, damit es quieckte. Er versuchte, es in der Badewanne schwimmen zu lassen. Es sank wie ein Stein. Was für ein dämliches Geschenk, dachte Gaylord. Konnte nur von Tante Bea sein.
    Jetzt mußte aber langsam der

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