Morgenstadt - wie wir morgen leben
und Gegenwart werden dadurch vergleichbar“, sagt IGD-Forscher Hugo Binder. „Das Smartphone wird zur interaktiven Zeitmaschine.“
Erweiterte Realität wird künftig allerdings nicht nur touristischen Zwecken vorbehalten bleiben. Schon heute kommt die Technologie in vielen Bereichen des Alltags zum Einsatz: Monteure oder Reparatur-Servicekräfte können sich den nächsten Arbeitsschritt direkt in ihr Sichtfeld einblenden lassen; Designer können mit tatsächlich und virtuell anwesenden Kollegen am selben dreidimensionalen Modell arbeiten, Ergonomen können beispielsweise die Bedienelemente im Auto virtuell überprüfen und optimieren. Forscher am Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut HHI haben mit der Technologie etwa einen virtuellen Spiegel entwickelt, vor dem man Kleider anprobieren kann, ohne sie anzuziehen. Es handelt sich um einen Bildschirm, der den Betrachter wie in einem Spiegel zeigt – nur die Kleidung wird künstlich dazu eingespielt und angepasst. Das System analysiert das aufgenommene Videobild des Benutzers, der sich ohne Hilfsmittel frei bewegen kann, und schätzt die Deformationen und Schattierungen des Stoffes ab. So entsteht ein realistisches Bild des Betrachters in der virtuellen Kleidung. 143
Auch ein interaktives Schaufenster haben HHI-Forscher entwickelt: Damit wollen sie den Einkaufsbummel zum besonderen Erlebnis machen. Passanten können Schaufensterauslagen künftig per Gesten bedienen. Vier Kameras erfassen die 3D-Positionen von Händen, Gesichtern und Augen und wandeln diese in Befehle um. Waren lassen sich so auswählen und sofort kaufen – auch nach Ladenschluss. Interessierte können sich zudem Produktinformationen wie Herstellerangaben, Farbe, Material, Preis und Verfügbarkeit anzeigen lassen. „Vergleichbares gibt es in Deutschland bislang nicht. Bis dato werden in Schaufenstern – wenn überhaupt – nur Touchscreens eingesetzt. Mit unserem ‚Interactive Shop Window‘ kann man jedoch berührungslos interagieren. Ein Plus für alle, die Wert auf Hygiene legen“, so HHI-Forscher Paul Chojecki. 144
Eine besonders persönliche Art der virtuellen Erweiterung ist die Augmented Identity, kurz a.id. Jeder Nutzer kann seine persönlichen Daten wie eine unsichtbare Blase mit sich tragen, und jeder, dem er die Zugangsberechtigung dazu erteilt hat, kann mit dieser Blase Kontakt aufnehmen. In einem Fraunhofer-Forschungsprojekt entwickeln Spezialisten des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO einen Anwendungsdemonstrator, der den Einsatz der a.id beispielsweise für die Verwaltung vonKundenkontakten auf Veranstaltungen, Messen oder privat zeigt. Auf mobilen Geräten können die digitalen Gesichter anonym oder mit Namen frei verschickt und für verschiedene Personen, Gruppen oder Services unterschiedlich freigegeben werden. 145
Für Leute, die gern flirten oder aber auf Tagungen Kollegen erkennen wollen, bietet beispielsweise die schwedische Softwarefirma The Astonishing Tribe eine App namens Recognizer an, die die Identität anderer Personen ermittelt. Aus einem Foto, das man mit dem Smartphone macht, extrahiert sie das Gesicht der Zielperson und versucht, sie in einer Datenbank in der Cloud wiederzuerkennen. Ist das geschafft, erfährt der Nutzer alle Daten, die über Facebook oder andere soziale Medien über die Zielperson verfügbar sind – sofern diese die Daten freigeschaltet hat. 146 Allein schon dieses Beispiel zeigt, dass hier in Zukunft vielfältige Möglichkeiten zum Datenmissbrauch oder mindestens zur Indiskretion liegen. So warnt Andreas Poller vom SecurITy Test Lab des SIT, Fotos von sich oder seinen Kindern beliebig ins Netz zu stellen. „Jeder ist auf Sicherheit bedacht, aber seine Handlungen stehen dem oft entgegen“, sagt der Forscher.
EINTAUCHEN IN VIRTUELLE 3D-WELTEN
Je mehr die Kommunikationsgeräte Teil unseres Lebens werden, desto wichtiger wird es, wie man mit ihnen umgeht. „Die Verbindung zwischen Mensch und Technik sollte möglichst angenehm ablaufen“, sagt Matthias Peissner vom IAO in Stuttgart. „Neben der Ergonomie sollten auch emotionale Faktoren wie Motivation, Spaß und Vertrauen eine Rolle spielen.“ Dies gilt insbesondere auch für den Bereich Ambient Assisted Living, der dafür sorgt, dass ältere und eingeschränkte Personen mit ihrer Umgebung kommunizieren können (siehe dazu auch das Kapitel Bauen und Wohnen). Alle Sinne können dabei angesprochen werden, und vielfach kann der
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