Morgenstadt - wie wir morgen leben
werden die Rohstoffe effizienter genutzt und in Stoffkreisläufen wiederverwertet werden. Quelle: Universität Augsburg
Insgesamt werden in der Morgenstadt Kreislaufprozesse angestrebt. Das gilt auch für die Nutzung von Investitions- und Konsumgütern. Die Abfälle der Stadt werden so zum Ausgangspunkt für die Gewinnung wertvoller Rohstoffe, etwa durch das Recycling elektronischer Geräte. Dieses Vorgehen – urban mining genannt – wird ökonomisch umso lohnender, je mehr sich bestimmte Rohstoffe verteuern, etwa seltene Erden oder hochwertige Metalle. Auch das Kunststoffrecycling gewinnt an Bedeutung, da die Erdölpreise voraussichtlich weiter steigen werden. „Erstmals entstanden im vergangenen Jahr durch Recycling in Deutschland neue Wertstoffe im Gegenwert von mehr als 10 Milliarden Euro“, sagt Peter Kurth, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft. 121 Um die Abfallströme zu verringern und die Ressourcen zu schonen, müssen aber noch weit mehr Erzeugnisse rezykliert werden. Um dies wirtschaftlich gewinnbringend durchzuführen, muss man Produkte so entwerfen und herstellen, dass man sie nach Gebrauch relativ leicht sortenrein zerlegen und ihre Bestandteile dem Stoffkreislauf erneut zuführen kann. Gleichzeitig ist es nötig, rationelle Verfahren zu entwickeln, die es erlauben, aus bestimmten Abfallfraktionen die Wertstoffe zu extrahieren und zu reinigen.
BIOGAS AUS MARKTABFÄLLEN
Jede Art von Abfall erfordert andere Methoden der Verwertung. Beispielsweise organische Abfälle verfaulen, verwesen, stinken, locken Ungeziefer und Bakterien an. Deshalb müssen sie schnell verwertet werden. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart hat in der ersten Jahreshälfte 2012 eine Pilotanlage in Betrieb genommen, die vorbildlich zeigt, wie man diese Art von Biomüll sinnvoll weiterverarbeiten und daraus Wertstoffe gewinnen kann.
Es geht um matschige Tomaten, braune Bananen und überreife Kirschen, aber auch um Salat, Blumenkohl, Kartoffeln oder Möhren, die ihre Lagerfrist überschritten haben: die Obst- und Gemüseabfälle der Großmarkthalle Stuttgart. Bisher waren sie bestenfalls auf dem Kompost gelandet. Künftig sollen sie besser genutzt werden: In der neuentwickelten IGB-Anlage lassen sie sich vergären. Dabei entsteht Methan – auch Biogas genannt –, das als Kraftstoff Autos antreiben kann.
Das Projekt ist untergekommen im Gaskraftwerk der EnBW Kraftwerke AG, direkt neben dem Großmarkt und nur einen Katzensprung entfernt von Daimler. Alle arbeiten hier zusammen: Zweimal pro Woche bringt ein Kipplader bis zu drei Tonnen Abfälle aus der Markthalle nebenan und schüttet sie in den Zerkleinerer. Der fertigt daraus eine dickflüssige Pampe, die in vier großen grünen Vorratsbehältern lagert und dann in die eigentlichen Reaktoren gepumpt wird: Es sind zwei große, blitzblank glänzende Stahltanks, die man eigentlich eher in einer Weinkellerei vermuten würde als in einer Biogasanlage. Aber vergoren wird auch hier: Die Bio-Suppe wird im Reaktor von Mikroorganismen zersetzt, das Gemisch gärt – es entsteht Methangas. Rohre leiten es in die Aufbereitungsanlage, wo es gereinigt und von CO 2 und Schwefel befreit wird. In Flaschen gefüllt steht es in der angeschlossenen Tankstelle für Autos bereit. „Ansonsten bleibt von den organischen Abfällen nur Wasser übrig, in dem die anorganischen Nährstoffe gelöst sind, und ein geringer fester Rest, den wir an Partner liefern, die ihn chemisch umwandeln und dabei nochmals Methan erzeugen“, sagt die Projektleiterin Dr. Ursula Schließmann. „Die Nährstoffflüssigkeit nutzen wir selbst in unserer Algenanlage in Reutlingen.“
Einen ähnlichen Anlagenbetrieb hat das IGB bereits in Americana, einer Stadt im Staat São Paulo/Brasilien, zur Vergärung von organischen Abfällen realisiert. Er dient dort Lehr- und Ausbildungszwecken sowie der Ermittlung von Grundlagendaten. Die Anlage verwertet Küchenabfälle aus der Kantine des örtlichen Wasserwerks. Sie liefert Biogas und Dünger.
Für viele Gemeinden wäre eine solche Methangewinnung aus Bioabfällen eine gute Sache. „Eine Potenzialstudie hat ergeben, dass mindestens 95 Stellen in Deutschland dafür geeignet wären“, sagt die IGB-Forscherin Schließmann. „Dort jeweils den anfallenden Müll direkt vor Ort sinnvoll zu nutzen wäre auf jeden Fall besser, als ihn quer durchs Land in große, zentrale Anlagen zu fahren.
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