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Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Titel: Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Wolf
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unseren Füßen. Es ist schwer, die Sonne auszumachen, aber ihre warmen, hellen Strahlen schimmern durch das dichte Blätterwerk über uns. Der Geruch ist unbeschreiblich. Es duftet nach frischem Gras und den schönsten Blüten.
    »Du hast Nevis gesucht?«, fragt Jesien in die friedliche Stille der raschelnden Bäume hinein.
    »Ja, irgendwie hat es mich traurig gemacht, dass er sich so ausgrenzt.«
    Jesien scheint in Gedanken zu sein, also sehe ich mich um und bewundere die vielen Farben und Formen der Blumen, die ihre Köpfe um die Wette ans Licht strecken. Es dauert nicht lange und wir kommen an einer Bank vorbei. Ich bleibe stehen und setze mich darauf. Ja, das ist sie. Die Bank auf der ich vergangene Nacht gesessen habe. Sie sieht aus, als wäre niemals der Atem des Todes über sie hinweggeweht. Das schwarze gusseiserne Metall wirkt beinahe unbeschadet, nur etwas Efeu rankt sich hoch zu der Lehne.
    »Verrückter Ort«, denke ich laut und Jesien seufzt lachend.
    »Du willst also morgen mit zu Aviv?«, fragt er plötzlich und verwirrt mich damit total. Mit einem fragenden Blick in den haselnussbraunen Augen setzt er sich neben mich und legt den Kopf schief. Wenn ich ihn mir so ansehe mit seinen wuscheligen, roten Haaren, dann könnte ich mir vorstellen mein Leben mit ihm zu verbringen.
    »Ja«, bringe ich hervor und runzele meine Stirn. »Wieso sollte ich nicht?«
    »Weil ich glaube, dass du deine Entscheidung in deinem Herzen schon längst getroffen hast.« Er grinst selbstsicher und lehnt sich etwas vor. Mit seinem linken Zeigefinger tippt er mir sanft an die Stirn. »Dein Verstand muss es nur noch mitbekommen.«
    Ich schüttele leise lachend meinen Kopf. »Du bist ganz schön von dir selbst überzeugt, lieber Jesien!«
    Die Augenbrauen des Herbsts ziehen sich belustigt nach oben. »Ich rede nicht von mir, liebe Maya.«
    »Nicht?«, frage ich erstaunt.
    »Nein«, sagt er und lehnt sich selbstzufrieden zurück. Ich starre ihn an und hoffe, dass er noch mehr sagt, doch er grinst nur und sieht sich die Bäume über uns an.
    »Wen meintest …«, kann ich gerade noch sagen, als ich jemanden bemerke, der sich uns nähert. Meine anderen Sinne registrieren ihn, bevor meine Augen sein Gesicht ausmachen können.
    »Brüderchen!«, ruft Jesien und lehnt sich vor, um der Wölfin Iria den Kopf zu tätscheln. Sie begrüßt ihn, indem sie seine Hand ableckt. Danach schaut sie mich an, als wolle sie etwas sagen, doch Jesien kommt ihr zuvor und ergreift das Wort.
    »Wohin des Weges?«, fragt er Nevis und Iria sieht hoch zu ihrem Herrchen. Die Augen des Winters ruhen einen Moment fragend auf mir, bevor er sich seinem älteren Bruder zuwendet.
    »Ich gehe spazieren.«
    »Aha«, grübelt Jesien übertrieben laut. »Hier draußen, wo es so warm ist?« Der Herbst wirkt noch amüsierter als sonst.
    »Ich suche etwas.« Das hatte Nevis auch schon zu mir gesagt. »Deshalb war ich auch nachts hier draußen.«
    »Hast du etwas verloren?« Jesien sieht sich um, als ob er es sofort hier an Ort und Stelle finden könnte.
    »Nein.« Mehr sagt der Winter nicht, sondern gibt Iria mit einer kleinen Handbewegung zu verstehen, dass er weitergehen möchte.
    »Warte«, ruft Jesien und sieht mich einen kurzen Moment mit schelmisch aufblitzenden Augen an. »Wenn du eh hier draußen herumrennst, kannst du auch Maya Gesellschaft leisten.«
    Nevis sieht aus, als hätte man ihm einen Baumstamm an den Kopf geworfen. Er will etwas sagen, doch Jesien ist mal wieder schneller.
    »Ich muss ohnehin noch etwas mit Mutter besprechen.« Damit steht er auf, verbeugt sich leicht vor mir und dreht sich sofort zum Gehen um. Kurz bevor er sich wegdreht, sehe ich einen schadenfrohen Ausdruck in seinem Gesicht. Offensichtlich macht es ihm eine unglaubliche Freude, mich und Nevis in dieser merkwürdigen Situation alleine zu lassen.
    Ich atme tief durch und fasse mir ein Herz. »Also, wonach suchen wir?«
    Nevis scheint einen Moment unsicher und überlegt sicherlich, wie er mich schnellstmöglich wieder loswerden kann, aber auch er überwindet die innere Hürde und schenkt mir fast so etwas wie ein Lächeln.
    »Wir gehen zu dem Kirschblütenbaum«, sagt er schließlich und meine Augen werden groß.
    »Wie … ich meine, kommen wir da von hier aus überhaupt ran?« Der Garten wirkt so verworren und undurchsichtig, dass man sich an ein Labyrinth erinnert fühlt.
    »Ich weiß es nicht«, gesteht Nevis ehrlich und das eisige Blau seiner Augen bohrt sich in meine. Abwägend

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