Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
weißt du.«
»Ich bin an deiner Seite, egal wie du entscheidest, Nevis«, antwortet Iria mit ruhiger Stimme. »Aber glaubst du, dass deine Mutter dir das einfach so durchgehen lässt?«
»Sie wird keine andere Wahl haben.«
»Und Maya? Setzen wir mal voraus, wir schaffen es bei Nacht durch Gaias Garten und finden das Portal, von dem du nur zu wissen glaubst, wo es ist. Was dann? Wir haben keine Ahnung, wo es uns herauslässt. Was ist, wenn wir im tobenden Meer landen? Oder in einem der schlimm verseuchten Gebiete der Erde? Ganz zu schweigen von den Wächtern, denen ich wirklich nicht begegnen will. Weder bei Tag noch bei Nacht. Wir könnten mitten in einer der alten Städte landen und sofort an der Strahlung sterben. Denkst du, Maya möchte das? Oder hat gar die Kraft dafür nach den Strapazen der letzten Stunden? Und glaubst du wirklich, deine Mutter wird deine Aufgabe übernehmen?«
»Denkst du, ich weiß das alles nicht, Iria?« Nevis seufzt. »Aber was ist die Alternative? Maya geht zurück zu Jesien und stirbt in neunundneunzig Jahren und ich ertrage weiterhin die Unsterblichkeit bis sie mich ganz um den Verstand gebracht hat? In dem Fall muss Mutter auch übernehmen. So oder so, ich ertrage es nicht mehr.«
»Maya wird sterben, Nevis. Sie ist eben sterblich! Aber du solltest sie entscheiden lassen, was sie mit der Zeit, die ihr gegeben ist, anfangen möchte, bevor du solche Pläne schmiedest. Du hast sie nicht gut behandelt, vielleicht hat sie Zweifel, ob du so ein Opfer wert bist.«
»Sie hat sich nach Monaten, in denen ich sie nicht an der Grenze besucht habe, durch den Schneesturm gekämpft, um zu mir zu kommen«, knurrt der Winter. »Mehr Beweis brauche ich nicht.« Es herrscht eine Weile Stille, bevor Nevis weiterspricht. Er klingt gepresst. »Ich war so ein Idiot.«
»Auf mich wolltest du ja nicht hören«, seufzt Iria und ich schlage langsam die Augen auf. Mein Kopf brummt und die Informationen, die soeben auf mich eingedroschen sind, machen es nicht gerade besser. Ich sehe zu Nevis und will ihm so viel sagen, doch alles ist wie weggeblasen, als unsere Blicke sich ineinander verhaken.
»Ich lasse euch alleine«, höre ich Iria sagen und vernehme kurz darauf das Knarren einer Tür.
»Maya«, haucht Nevis und streicht mir mit einer Hand über die Wangen. Die Berührung seiner Haut auf meiner lässt mich erschauern. Wie sehr habe ich mich die letzten Monate danach gesehen? Wie oft habe ich es mir vorgestellt? Ich schließe meine Augen und ziehe ihn an mich heran. Unsere Lippen treffen aufeinander und entfachen ein Feuer in meinem Inneren. Mein Körper beginnt zu prickeln. Eine Art Panik, nur irgendwie positiv, durchfährt mich. Nevis, … endlich Nevis spüren. Am liebsten würde ich ihn mit Haut und Haaren verschlingen und mit ihm zu einem zerschmelzen. Wie zwei Ertrinkende hängen wir aneinander und ich kann seine angestaute Sehnsucht durch unseren Kuss spüren. Es ist, als klagten mir seine Lippen ihr Leid der Einsamkeit. Doch Nevis schiebt mich von sich und augenblicklich macht sich echte Panik in mir breit. Nicht schon wieder. Er kann mich doch nicht nach all den Monaten voller Sehnsucht einfach so abstoßen.
»Maya«, beginnt er wieder. »Warte kurz.«
Ich sehe in seine Augen, die mich förmlich verschlingen. Ihr helles Blau ist zwar kühl, aber zärtlich und flüssig. Keine Eisbarrieren zu sehen.
»Die Zeit spielt gegen uns, Maya. Ich weiß nicht, wie oft Mutter nach dem Rechten sieht. Bitte sag mir, was deine Pläne sind?« Er hält meine Hände in seinen und ich spüre, dass sie leicht zittern. »Bitte sag mir, dass das nicht alles ist. Sag mir, dass du nicht vorhast, wieder zu Jesien zurückzugehen.«
»Ich habe keine Ahnung«, gebe ich ehrlich zu. »Mein Plan war nur, zu dir zu kommen. Weiter habe ich nicht gedacht, denn ich hielt es schon für fast unmöglich, überhaupt bis zu dir durchzudringen.«
Seine Hände umfassen jetzt mein Gesicht und er lehnt seine Stirn kurz gegen meine, bevor er mich mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Nervosität ansieht. »Willst du zu Jesien zurück?«
»Nein«, schießt es aus mir heraus, bevor ich nachgedacht habe. »Ich will dich nie wieder loslassen.«
Nevis schließt die Augen und schluckt. »Wenn wir zusammenbleiben wollen, dann gibt es nur einen Weg. Die Alternative wäre, dass du so lange hier wohnst, bis Mutter dein Fehlen bei Jesien bemerkt. Das könnte Jahre dauern oder aber schon in der nächsten Sekunde vorbei sein.«
Ich
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