Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
ein Klopfen an der Tür uns unterbricht.
»Herein«, bitte ich und ordne meine Kleidung ein wenig. Irias blonder Schopf schiebt sich zur Tür hinein.
»Hallo«, grüßt sie schüchtern und macht dann einen Knicks mit Blick zum Winter.
»Ich glaube, da möchte dich jemand brennend gerne kennenlernen«, sage ich und stupse Nevis sanft an.
»Es … es ist einfach unglaublich«, stammelt Iria nervös und ich vernehme ein leises Lachen neben mir.
»Komm her«, sage ich und strecke meinen Arm aus. »Er beißt nicht.«
Langsam und mit aufgeregtem Blick kommt Iria zu uns.
»Wow«, staunt sie und starrt den Mann neben mir an.
»Schön, dich wiederzusehen, Iria«, sagt Nevis und hält ihr die Hand hin. Sie ergreift sie auch, quietscht dabei aber leise vor sich hin.
»So warm«, plappert sie. »Ich … ich hätte gedacht, du seist kalt.«
»Nein, weder hier auf der Erde noch in meinem Zuhause.«
»Aber er konnte als Halbgott mit seinen Händen kühlen. Hier unten ist er ein normaler Mensch«, erzähle ich.
»Von normal kann keine Rede sein«, widerspricht mir Iria und sieht in Nevis‘ Augen. »Man sieht es ihm an.«
»Das stimmt wohl.« Ich schmiege mich an ihn und Nevis legt einen Arm um meine Schultern. Zärtlich drückt er mich an sich und küsst meinen Scheitel.
»Wahnsinn«, raunt Iria und ich muss lächeln. »Wusstet ihr, dass Mishandra im Flur herumstreicht?«
»Sie wartet darauf, auf Nevis zu treffen«, seufze ich, woraufhin er mich amüsiert anstupst. »Hast du vor, Pesco und Thais zu besuchen?«, wechsle ich das Thema. Ich habe ihr gleich nach meiner Rückkehr von meinem Treffen mit den Grenzern und meiner Vermutung berichtet. Sie hat darüber nachdenken wollen. Iria atmet tief durch.
»Ich weiß nicht, ob ich dafür den Mut finde«, gesteht sie. »Ich würde beide gerne kennenlernen, aber … was ist, wenn sie mich nicht mögen? Und du weißt, dass der Kontakt zu männlichen Familienmitgliedern nicht gerne gesehen wird. Meine Mutter würde mir den Hals umdrehen.«
»Du musst sie mal besuchen, Iria. Thais ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich wünschte, ich könnte dich begleiten, aber du weißt ja … Gaia …«
»Sie hat Recht«, kommt mir Nevis zu Hilfe. »Er sieht dir sehr ähnlich und dein Vater ist wirklich eine gute Seele.«
Iria sieht den Winter unsicher an.
»Beide würden sich sehr darüber freuen, dich kennenzulernen«, versichert er ihr und Iria nickt.
»Ja … dann … werde ich wohl … beim nächsten Ausritt.«
Ich ziehe sie in meine Arme und sie erwidert die Umarmung sofort.
»Ich habe dich so vermisst«, sagt sie mir zum gefühlt hundertsten Mal seit ich zurück bin. »Ohne dich ist es hier so … einsam.«
Eine Stimme in mir flüstert: Dann such deinen Vater und Bruder, denn ich weiß nicht, wie lange ich noch hier sein werde. Doch ich traue mich nicht das laut auszusprechen.
Wir sitzen vor einer Schüssel Hirsebrei. Im Speisesaal ist es seit unserer Ankunft totenstill. Keine meiner Schwestern möchte auch nur ein Wort oder eine Regung von Nevis verpassen. Gemeinsam essen sie schweigend und sehen zu uns herüber. Doch ein Blick stört mich besonders. Mishandras.
»Schmeckt es dir?«, fragt sie mit kokettem Wimpernaufschlag und lächelt Nevis dabei unverfroren an. Der Winter schaut kurz auf und nickt. Sein Mund ist voll, trotzdem lächelt er kurz, bevor er sich wieder seiner Schüssel widmet. Es scheint, als bemerke er meinen Blick, denn er zwinkert mir kurz aus dem Augenwinkel zu.
»Ich wäre zu gerne eure Auserwählte geworden«, plappert Mishandra weiter. »Aber die Göttin scheint etwas in Maya gesehen zu haben.« Sie seufzt ungläubig.
»Mutter weiß, was uns gefällt«, antwortet Nevis und ich könnte ihn dafür küssen. Mishandra runzelt die Stirn und widmet sich ihrem Essen. Sie scheint zu überlegen, ob sie noch etwas sagen soll und schließlich fällt ihr etwas ein.
»Ich finde das nicht gut«, sagt sie schließlich. »Maya hat Jesien gewählt und nun ist sie mit dir hier. So sollte das nicht sein.«
Nevis schaut ruckartig auf, seinen eisigen Blick auf Mishandra gerichtet. Die Hüterinnen um uns herum scheinen die Luft anzuhalten.
»Es war meine Idee hierherzukommen«, sagt er mit klirrend kalter Stimme. »Wenn du dich also beschweren möchtest, nur zu.«
Niemand, nicht einmal Mishandra, würde es wagen, einen Sohn der Göttin öffentlich in Frage zu stellen. Meine Ordensschwester senkt den Kopf und weicht Nevis‘ Blick
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