Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
Draußen kann sie uns jederzeit wieder binnen Sekunden in Herbst und Winter verbannen.«
Ich schlucke und überlege.
»Machst du es?«, drängt Nevis. Er scheint wirklich große Angst vor meiner Mutter zu haben.
Ich nicke. »Ja, aber gib ihr einen Moment. Lass sie sich beruhigen. Ich glaube, dass sie das weder mir antun möchte noch will sie einen Sohn der Göttin verärgern. Wenn du wütend in den Winter zurückkehrst, könntest du alles Mögliche anstellen. Ernten einfrieren …«
»Die Menschen verhungern lassen?«, hakt Nevis nach. »Hält man mich für so verbittert?«
»Ein wenig, ja«, gestehe ich. Da kommt mir eine Idee. Ich muss unbedingt zu den Chroniken der Hüterinnen gelangen und zukünftigen Auserwählten eine Nachricht hinterlassen. Sie auf Aviv, Sol und Jesien vorbereiten. Vielleicht auch auf meinen Nevis. Der Gedanke schnürt mir die Kehle zu und ich versuche den Kloß im Hals herunterzuschlucken, doch es gelingt mir nicht.
»Würdest du … würdest du eigentlich einen neuen … Tiergeist bekommen?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass diese Frage nicht angebracht ist. Aber ich muss wissen, ob er ganz einsam wäre, wenn das hier alles scheitert. Nevis weicht meinem Blick aus und sieht zum Fenster in die aufgehende Sonne. Die Eiskristalle in seinen Augen glitzern wie tausend Diamanten.
»Ich weiß es nicht. Tiergeister sollten ewig leben.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe und ziehe ihn in meine Arme.
»Verzeih meine dumme Frage«, flüstere ich in seinen Nacken und küsse sanft die warme Haut über dem Kragen seines Oberteils. Er duftet unheimlich gut nach Wärme und Geborgenheit.
»Es gibt keine dummen Fragen, Maya. Nur dumme Antworten.«
»Das sagt meine Mama auch immer gerne«, gluckse ich und Nevis lacht leise.
»Meine auch.«
Die Stimmung im Orden ist merkwürdig. Einige Schwestern scheinen Mitleid mit Nevis und mir zu haben, andere wiederum sehen uns an, als wären wir das pure Böse. Aber weder das eine noch das andere würde uns jemand ins Gesicht sagen. Mit Ausnahme meiner Mutter.
»Ich verstehe dich, Maya und kann auch nachvollziehen, wie es dazu gekommen ist«, sagt sie und massiert sich die Schläfen. Wir sitzen in meinem Zimmer auf dem Bett, während Nevis am Fenster steht und hinaussieht.
»Dann hilf uns!«, fordere ich sie auf.
»Schatz, ich bin Gaia verpflichtet. Wie soll ich das ihr und den anderen Hüterinnen beibringen?«
»Ich bin Gaias Sohn«, mischt sich Nevis ein. »Sagen Sie einfach, dass Sie sich uns beiden verpflichtet fühlen. Gaia und mir, ihrem Sohn. Aus diesem Grund gewähren Sie uns Schutz und lassen meine Mutter das mit mir alleine klären.«
»Ja, das ist gut«, stimme ich aufgeregt nickend zu. Mama überlegt und nickt schließlich.
»Aber ihr müsst das wirklich mit der Göttin klären. Ihr bringt mich nämlich in eine sehr unbequeme Lage.«
Nevis und ich seufzen erleichtert auf.
»Danke, Mama.«
»Vielen Dank.« Nevis neigt kurz den Kopf vor meiner Mutter, was ihr sichtlich unangenehm ist. Ich frage mich, ob es der richtige Zeitpunkt ist, sie zu fragen, ob Nevis entweder hier bei mir oder ich bei ihm im Gästezimmer schlafen darf, aber ich entscheide ihre Geduld nicht überzustrapazieren. Mama erhebt sich und sieht uns unglücklich an.
»Ich werde es den anderen mitteilen, damit sie endlich wissen, was los ist«, sagt sie und versucht sich an einem Lächeln für mich.
»Noch einmal vielen Dank, Oberin«, sagt Nevis und Mutter geht auf ihn zu. Sie geht vor ihm auf die Knie und küsst erneut seine Hand.
»Ich gebe zu, es ist uns auf eine Weise natürlich eine große Ehre, Euch hierzuhaben, Winter.« Sie erhebt sich wieder und lässt Nevis und mich alleine.
»Hast du auch so einen guten Plan für deine Mutter?«, frage ich.
»Nein, leider nicht.« Er sieht mich entschuldigend an. »Mutter kann man nicht planen .«
Ich stehe auf und gehe zu ihm ans Fenster. Von hinten schlinge ich meine Arme um seine Taille und das fühlt sich unglaublich gut an. Ich mag die Art, wie sein Körper auf meine Berührungen reagiert. Wie wir beide Gänsehaut bekommen und uns gegenseitig fast magisch anziehen.
»Du gehörst mir«, nuschele ich vor mich hin. »Ich habe so lange um dich gekämpft, jetzt soll dich mir niemand mehr wegnehmen.«
»Oh Maya«, seufzt Nevis. »Du glaubst gar nicht, was diese Worte alles in mir auslösen.« Er dreht sich in meiner Umarmung und nimmt mein Gesicht in seine warmen Hände. »Meine Wunderschöne.« Damit küsst er mich bis
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