Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
verzeihe ich es ihm sofort. Ich rutsche über das Bett zu ihm und drücke seinen von Schluchzern geschüttelten Körper an mich. Still tröste ich ihn und streiche über sein weißes Haar.
»MAYA!«, kreischt meine Mutter mich wach. Es dauert einen Moment, dann bemerke ich den Grund. Ich liege auf Nevis‘ Brust. Er hat einen Arm um mich gelegt und zieht mich damit näher an sich heran.
»Maya, was soll das? Willst du die Göttin noch mehr erzürnen?«
Müde reibe ich meine Augen und als ich zu Mama hinsehe trifft mich fast der Schlag. Gaia steht neben ihr. Die Göttin trägt ein geblümtes Sommerkleid und kommt barfuß ein paar Schritte auf das Bett zu. Ich rücke näher an Nevis heran, welcher augenblicklich eine beschützende Position einnimmt.
»Mutter, bitte«, beginnt er.
»Ich weiß nicht was ich davon halten soll«, sagt Gaia und legt den Kopf schief. »Ich habe Maya erwählt, weil ich wusste, dass sie zu dir gehört. Das war ungerecht deinen Brüdern gegenüber, ich weiß. Dann entschied sie sich für Jesien, was mich ganz ehrlich überrascht hat, aber es war nun mal ihre Entscheidung.« Die Regenbogenaugen der Göttin schimmern im Licht der aufgehenden Sonne, die sanft durch das Fenster neben meinem Bett hereinscheint. Gaia sieht so zerbrechlich und gleichzeitig so ehrfurchtgebietend aus, dass es mir die Sprache verschlägt. »Und jetzt verschwindet ihr, lasst eure Aufgaben unerledigt?«
Gaia hatte mich für Nevis ausgesucht? Dann muss sie uns zusammen lassen, wenn sie doch von Anfang an wusste, dass ich zu ihm gehöre.
»Bekomme einfach einen neuen Sohn, der den Winter übernimmt«, sagt Nevis und seine Stimme klingt fest und entschieden.
»Das ist nicht so einfach, wie du denkst, Nevis. Du weißt, dass selbst ich mich an einige Regeln halten muss.«
»Ich kann das nicht mehr Mutter.« Ein Flehen liegt in seiner Stimme.
»Du musst. Das Eis taut.«
»Dann musst du dich darum kümmern.«
»Nevis, ich habe andere Aufgaben«, rügt die Göttin ihren Sohn, wie es wahrscheinlich jede andere Mutter auch täte.
»Ich bleibe hier bei Maya.«
Gaia sieht mich an und ich würde am liebsten im Erdboden versinken.
»Bitte, Mutter«, flehe jetzt auch ich. »Ich habe einen dummen Fehler gemacht. Mein Herz gehörte schon von Anfang an Nevis.«
Die Göttin mustert mich still.
»Und wenn wir vielleicht gemeinsam in den Winter zurückkehren? Ich weiß, dass Jesien …«
»Nein!«, unterbricht mich Nevis und seine Eisaugen durchbohren mich förmlich. »Ich will nicht wieder unsterblich sein …, wenn du es nicht bist.«
»Ihr habt keine andere Wahl«, zischt Gaia. »Der Planet wird sich selbst zerstören, wenn die Gifte nicht gefroren bleiben.« Die Göttin sieht mich an. »Und du hast Jesien hundert Jahre Gesellschaft versprochen.«
Der Vorwurf hallt hart in mir. Dem Herbst gehört auch mein Herz, aber auf eine ganz andere Art.
»Jesien wünscht sich, dass ich bei Nevis bleibe«, gebe ich zurück, halte dabei jedoch den Blick gesenkt. Ich bin nicht mutig genug der Göttin in die Augen zu sehen, welche daraufhin erzürnt seufzt. Meine Mutter gibt einen erschrockenen Laut von sich und als ich aufsehe, ist Gaia verschwunden.
»Sie kommt wieder«, sagt Nevis.
»Was habt ihr nur getan?«, wimmert meine Mutter. Panik steht ihr ins Gesicht geschrieben. »Wollt ihr, dass alles Leben auf dem Planeten ausgelöscht wird?« Damit dreht sie uns den Rücken zu und flüchtet aus dem Zimmer. Zitternd presse ich mich an Nevis, der ebenfalls sofort meine Nähe sucht.
»Scht«, macht er, um mich zu beruhigen. »Wir finden einen Weg, hörst du?«
»Und welchen?«, frage ich ungläubig.
»Sie wird meine Aufgaben selbst übernehmen oder einen neuen Winter erschaffen.«
»Und wir sind dann hier gefangen?«
Nevis sieht mich mit gemischten Gefühlen an. »Das oder wir gehen zurück.«
»Dann das hier«, sage ich schnell, um ihn nicht zu verunsichern. Ich gebe ihm einen Kuss, den er sofort erwidert, aber kurz darauf auch wieder unterbricht.
»Willst du mit deiner Mutter sprechen?«, fragt er und sieht mich besorgt an, während er mit einer Hand über mein Haar fährt. Wenn er das tut, komme ich mir so wertvoll vor.
»Ich habe sie noch nie so wütend erlebt«, grübele ich laut.
»Aber sie wird uns nicht aus dem Orden verbannen, oder?«
»Ich glaube, noch ist sie hin- und hergerissen.«
»Dann solltest du unbedingt mit ihr sprechen, Maya. Wenn sie uns aus dem Orden verweist, sind wir meiner Mutter ausgeliefert.
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