Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
unterkühlt, hungrig und müde.«
Mama bleibt stehen und mustert Nevis. Sie geht auf ihn zu, kniet vor ihm nieder und küsst seine Hand. »Vergebt mir, Winter«, sagt sie schließlich und erhebt sich wieder. Sie dreht uns den Rücken zu. »Richtet ihm ein Zimmer ein und macht meiner Tochter und Nevis etwas zu essen und zu trinken.«
»Aber er kann doch bei uns schlafen!«, protestiere ich.
»Niemals«, zischt Mama. »Erst wenn Gaia ihren Segen dafür gegeben hat. Du bist Jesiens Frau!«
»Nicht in meinem Herzen.«
»Schon gut«, versucht Nevis zu schlichten. »Lass uns reden, wenn wir wieder bei Kräften sind.« Seine hellblauen Augen flehen mich an mich zu beruhigen, aber ich kann nicht anders. Ich beuge mich zu ihm und lege meine Lippen an sein linkes Ohr.
»Lass mich nicht alleine«, flüstere ich.
»Du bist nicht alleine«, antwortet er und deutet mit dem Kinn auf meine beste Freundin Iria, die uns mit großen, wässrigen Augen beobachtet. »Geh zu ihr, wir sehen uns morgen früh.«
Ergeben nicke ich und beuge mich dann erneut vor. Nevis‘ warme Hände umfangen mein Gesicht und halten mich für einen sanften Kuss gefangen. Dass uns die Augen der Hüterinnen und meiner Mutter beobachten ist uns egal. Als sich seine Lippen von meinen lösen, lehnt er noch einen Moment seine Stirn gegen meine.
»Ich werde dich jede Sekunde vermissen«, sagt er und tritt dann einen Schritt zurück, um meine Mutter abwartend anzusehen. Vollkommen perplex deutet sie ihm die Richtung der Schlafgemächer und Wohnungen an. Nevis folgt ihr, während ich Iria erneut in die Arme falle. Über ihre Schulter hinweg sehe ich, wie ausgerechnet Mishandra dem Winter und Mutter folgt.
Obwohl ich todmüde bin, liege ich wach. Nachdem Iria und Mama mich in meinem Zimmer alleine gelassen haben, ist mir gar nicht mehr nach schlafen. Zweifel keimen in mir auf, ob meine Mutter zu mir stehen wird. Sie hat mir mehrmals klargemacht, dass sie Gaia verpflichtet ist und ich nun Jesien. Wenn sie den Herbst doch nur kennen würde. Jesien wünscht sich eine Zukunft für mich und Nevis, aber ich befürchte, dass das für Außenstehende unverständlich ist. Seufzend setze ich mich auf und überlege, was Nevis wohl macht? Ob er Schlaf gefunden hat? Ob Mishandra bei ihm ist? Etwas flammt in meinem Bauch auf. Eifersucht. Leise und langsam öffnet sich meine Zimmertür und in Erwartung, Iria zu sehen lehne ich mich vor. Doch es ist nicht Iria.
»Nevis?«, flüstere ich. »Was machst du hier?« Erleichterung breitet sich in mir aus. Seine hellblauen Augen kann ich selbst in der Dunkelheit erkennen. Er kommt zu mir ans Bett und sieht mich fragend an. Ich hebe meine Decke an und kuschele mich mit ihm gemeinsam ins Kissen.
»Du bist der Sohn einer Göttin und kommst zu mir ins Zimmer geschlichen wie ein gewöhnlicher Dieb«, gluckse ich amüsiert.
»Ich kann nicht schlafen.«
»Dann bleib bei mir«, flüstere ich und lehne meine Stirn gegen seine. Trauer steht in seinen Augen, doch ich kann sehen wie er sie einfriert. Am liebsten würde ich eine Hand über sein Herz legen, um damit die Traurigkeit in ihm zu heilen, aber da dies nicht möglich ist, lasse ich meine Hände, wo sie sind – in seinem Gesicht. Zärtlich streichele ich seine Wangen und fahre mit einem Finger seine Augenbrauen und danach die Nase entlang.
»Geht es dir hier besser?«, frage ich.
»Ja«, antwortet er nickend und scheint meine Streicheleinheiten zu genießen. Er ist so wunderschön und kostbar und er gehört mir. Mein Puls beschleunigt sich bei diesem Gedanken und mich überzieht eine Gänsehaut. Ich kann Unsicherheit in Nevis‘ Augen lesen, doch er überwindet sie und drückt sanft seine Lippen auf meine. Ich schlinge meine Arme um ihn und er fasst den Mut, sich auf mich zu legen. Liebevoll streicht sein Mund über meinen … jede Berührung, jeder Atemzug kitzelt und prickelt in meinem ganzen Körper. Der unbändige Wunsch, ihm noch näherzukommen breitet sich wie ein Lauffeuer in mir aus. Nevis scheint es ähnlich zu gehen, denn er presst sich immer fester an mich heran und sein Atem rast mit meinem um die Wette. Ich schlinge meine Beine um seine Taille, doch Nevis bricht unseren Kuss abrupt ab und zieht sich zum Fußende des Bettes zurück. Ein Rauschen in meinen Ohren und die Dunkelheit verhindern, dass ich sofort merke was los ist und Panik, dass er sich wieder von mir entfernt, macht sich in mir breit. Zu oft hat Nevis mich schon in der Luft hängenlassen. Doch dieses Mal
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