Morituri - Die Todgeweihten
stand ihm ganz deutlich vor Augen, welche Art von Gerechtigkeit er ausüben wollte.
»Mach deine Schiffe flott, mein Freund«, sagte Sten.
»Beim langen, verwitterten Bart meiner Schwester«, röhrte Otho los. »Auf uns liegt ein wahrer Segen. Wir werden ihre Seelen noch allesamt zur Hölle trinken!«
Kapitel 15
Der Computer war der Gestalt gewordene Bürokratentraum. Als reine Speicherzentrale konnten sich nur wenige auf dem zivilen Markt mit ihm messen. Doch der Schlüssel zu seiner vollendeten Schönheit lag in seiner Zugriffsmethode.
Der Teamleiter der Entwicklungsabteilung war schon zehn Jahre zuvor mit dem Vorschlag zu einem Entwurf in dieser Richtung vor Kyes getreten. Kyes hatte vier Monate mit der Gruppe zusammengearbeitet, jeden erdenklichen Einwand eingebracht und ganze Horden von »angenommen dass« ins Feld geführt, um seine theoretischen Grenzen auszureizen. Er hatte nicht ein einziges Loch gefunden, das man nicht mit einigen zusätzlich eingefügten Symbolen hatte stopfen können.
Er gab grünes Licht für das Projekt. Es war so kostspielig, dass Kyes sich zu einer anderen Zeit automatisch nach Partnern umgesehen hätte, um das Risiko auf mehrere Schultern zu verteilen. Er hatte sogar kurzzeitig mit dieser Idee gespielt. Doch wenn der Computer erst einmal am Netz hing, würde er dermaßen gewaltige Gewinne einfahren, dass Kyes den Gedanken, jemanden daran zu beteiligen, rasch wieder verwarf.
Noch wichtiger als die Profite war der potentielle Einfluss.
Der Computer war ein Einzelstück, seine Patente so grundlegend neu, dass kein anderes Wesen auch nur im Traum damit rechnen konnte, eine Kopie davon anzufertigen, ohne ein gigantisches Vermögen und die eigene Reputation aufs Spiel zu setzen – und ohne dass ihm Kyes’ Legionen von Anwälten das Leben zur Hölle machten. Schon ab dem frühesten Stadium seiner Planung wusste Kyes, dass dieser Computer jedes System in jeder Regierung ersetzen würde. Und die Verkaufsbedingungen wurden von ihm bestimmt, von ihm allein.
Sobald das neue System installiert war, würde sein Einfluss so rasch anwachsen wie sein neugeschaffener Reichtum. Denn nur eine einzige Firma, nämlich seine, war dazu befugt und in der Lage, die Maschinen zu warten und regelmäßig mit Upgrades zu bestücken. Kurz gesagt: wer es sich mit Kyes verdarb, konnte seine Verwaltung gleich abschreiben. Die verwalteten Staaten selbst würden bald darauf folgen.
Fast jede Handlung eines jeden sozialen Wesens wurde irgendwo verzeichnet. Das erste Problem bestand darin, wie mit diesen Daten zu verfahren war, damit sie anderen zugänglich wurden. Solange es sich nur um ein Dokument handelte, war die Sache einfach. Man legte es unter einen Stein und markierte die Stelle; jemand, der den Weg dorthin kannte, suchte diesen Ort bei Bedarf auf und konnte das Dokument einsehen. Doch Dokumente vermehrten sich rasanter als Kakerlaken. Die Jäger und Sammler hatten schon bald nicht mehr genug Platz an ihren Höhlenwänden; Skribenten füllten ganze Bibliotheken mit Pergamentrollen; Verwaltungsangestellte stopften Aktenschränke voll, bis sich die Schubladen bogen; und selbst zur Blütezeit des Imperiums war es möglich, dass die größten Computer von ihren Datenmengen regelrecht überflutet wurden.
Damit war jetzt Schluss. Ständig konnten neue Speicherelemente oder Verknüpfungen hinzugefügt werden. Die modernen Systeme hatten die Lichtoptik so weit hinter sich gelassen, dass auch Geschwindigkeit kein Hindernis mehr war.
Trotzdem galt es noch eine Schwelle zu überwinden, hinter die noch niemand seinen Fuß gesetzt hatte: Wie fand man in dieser gigantischen Datenmenge ein einziges kleines Byte an Information?
In der legendären Großen Bibliothek von Alexandria waren angeblich Hunderte von Angestellten beschäftigt, die in den Regalen nach denjenigen Schriftrollen forschten, nach denen die Gelehrten verlangten. Tage und Wochen konnten vergehen, bis eine bestimmte Rolle ausfindig gemacht wurde; sehr zum Missfallen der Gelehrten, die zumeist nicht mit üppigen Forschungsgeldern ausgestattet waren. Ihre vielfältigen und bitteren Beschwerden überlebten sogar den großen Brand, der die Bibliothek zerstörte. Das alles geschah in grauer Vorzeit, als es noch kaum nennenswertes Wissen zu verzeichnen gab.
Zu Stens Zeiten hatte das Problem Dimensionen angenommen, die selbst einen Mathematiker, der den Nabel des Universums untersuchte, ins Wanken bringen würden.
Nur ein kleines Beispiel:
Weitere Kostenlose Bücher