Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
Sie starrte wieder Henriksson an.
»Noch einmal: Was ist ein Eskatay genau? Und wieso wussten Sie, dass es jemanden wie mich gibt?«
»Durch Nora«, antwortete Henriksson. »Und was die Eskatay angeht ...«
»Wir haben die Befürchtung, dass Leo Begarell ein Eskatay ist«, fiel ihm Solrun ins Wort. »Der Verdacht besteht schon seit seiner ersten Präsidentenwahl.«
»Leo Begarell hat sich einen neuen Lebenslauf gebastelt«, sagte Eliasson. »Seine offizielle Biografie ist eine Fälschung. Es hat lange gedauert, um das herauszufinden. Begarell war sehr gründlich. Und je mächtiger er wurde, desto wirksamer waren seine Möglichkeiten, sich eine neue Lebensgeschichte zu erfinden.«
»Wie auch immer, seinen richtigen Namen kennen wir nicht. Er ist nicht verheiratet, hat keine Kinder. Seine Schulabschlüsse scheinen echt zu sein, aber es kann sich kaum einer seiner Kameraden an ihn erinnern.«
»Warum haben Sie das alles recherchiert?«, fragte Tess.
»Weil sie nach einer Schwachstelle gesucht haben, nicht wahr?«, sagte nun York. »Ich habe meinen Vater oft genug belauscht, um ein wenig vom politischen Geschäft zu verstehen.«
Henriksson seufzte. »Als Gewerkschaft waren wir nicht sonderlich erfolgreich. Begarell hat nach dem Prinzip ›teile und herrsche‹ gehandelt. Den Arbeitern ging es gut. Es gab gesetzliche Mindestlöhne und einen großzügigen Urlaubsanspruch. Er hat sogar eine Sozialversicherung eingeführt!
Die ärztliche Versorgung ist umsonst, wer mit siebzig in Rente geht, bekommt die Hälfte seines Lohnes weitergezahlt und entrichtet keine Steuern mehr. Mit dieser Reform hat er seine erste Regierungszeit überstanden. Dann brach das System zusammen.«
»Warum?«, fragte Tess.
Es war wiederum York, der antwortete. »Der Staat war pleite.«
Henriksson nickte. »Morland hat wie der Rest der Welt ein massives Rohstoffproblem. Irgendwann hat Begarell seine Rechnungen nicht mehr begleichen können.«
»Aber ich verstehe nicht: Was hat das jetzt mit Ihrer Gewerkschaft zu tun?«, fragte York.
»Fast ein Viertel der Bevölkerung Morlands war zu dieser Zeit arbeitslos und hatte keine Möglichkeit mehr, in Lohn und Brot zu kommen. Gewerkschaften kümmern sich nicht nur um Menschen, die Arbeit haben, sondern auch um die, die Arbeit suchen. Wir haben aus der Morstal-Ära gelernt. Begarell nicht. So selig seine Gaben auch waren, allen war klar, dass man sie nur dann finanzieren konnte, wenn jeder Arbeit hatte. Bei der ersten Krise brach das ganze Kartenhaus zusammen. Bis heute haben wir uns nicht davon erholt. Begarell muss sein Amt niederlegen, daran kann es keinen Zweifel geben. Aber freiwillig wird er den Sessel nicht räumen.«
»Also haben Sie versucht, mit schmutzigen Tricks zu arbeiten«, sagte York.
»Schmutzig würde ich sie nicht nennen«, wandte Eliasson ein.
»Doch«, sagte Henriksson. »Das waren sie. Wir waren kurz davor, Begarells Müll zu durchwühlen, um etwas Belastendes zu finden. Aber dann geschah etwas Seltsames. Etwas, was uns alle davon überzeugt hat, dass hinter Begarells Präsidentschaft etwas ganz anderes steckte. Es war kurz nach seiner ersten Ernennung, da hatte es in der Residenz des Präsidenten eine Feier gegeben. Alle waren da: Politiker, Künstler, Wirtschaftskapitäne. Und die Vertreter von Morstal natürlich, die seine Kandidatur unterstützt hatten. Es ist an diesem Tag zu einem heftigen Streit zwischen Begarell und Johan Weiksell, dem Vorstand von Morstal, gekommen.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Tess.
»Weil ich in dieser Zeit im Hause Begarell als Dienstbote gearbeitet habe«, sagte Eliasson. »Ich war dabei, als es geschah. Also nicht direkt, aber die Tür stand einen Spalt auf. Die Auseinandersetzung war fürchterlich. Begarell fluchte wie ein Müllkutscher, es war unglaublich. Ich fragte mich, woher dieser Mann dieses Vokabular hat. Weiksell hingegen schwieg und trank genüsslich seinen Branntwein. Wahrscheinlich dachte er, was schert es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr kratzt. Plötzlich wurde Begarell ganz ruhig und freundlich, wie ein Sturm, der sich ausgetobt hatte. Er entschuldigte sich sogar bei Weiksell und bot ihm eine Zigarre an. Das dachte ich zumindest, als er eine Holzkiste öffnete.«
»Aber es waren keine Zigarren drin, nicht wahr?«, fragte York.
»Nein, und ich habe auch nicht gesehen, was es war. Jedenfalls kippte Weiksell vornüber und war tot. Die Ärzte stellten später einen Herzinfarkt fest.«
»Aber das macht Begarell noch
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