Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
ausführen konnte.
Nun, er konnte es probieren. Morvangar, Mellbygrund 4. Er schloss die Augen, hielt die Luft an und versuchte sich den Ort vorzustellen. Als er einen roten Kopf bekam und ihm schwindelig wurde, atmete er aus. Vorsichtig öffnete er ein Auge.
Er war noch immer in seinem Zimmer.
Verdammt, wieso hatte das nicht geklappt? Ein neuer Versuch. York spreizte die Beine ein wenig, um einen sicheren Stand zu haben, schloss die Augen und stellte sich die Schließfächer des Bahnhofs vor. Dann atmete er ein, und noch als er Luft holte, spürte er, dass er sein Zimmer verlassen hatte. Die Luft war anders. Es roch nach Kohle und Teer, die Luft war erfüllt von Geräuschen, die nur eine große Menschenmenge erzeugen konnte. Neben ihm kreischte jemand.
York riss die Augen auf. Das Kreischen nahm kein Ende. Verwirrt schaute er sich um, als er ein kleines Mädchen sah, das direkt neben ihm stand und schrie, als hätte es ein Gespenst gesehen.
»Scht!«, machte York und hob beschwichtigend die Hände. Er schaute sich hektisch um. Außer dem Kind schien sonst niemand seine etwas überraschende Ankunft im Bahnhof bemerkt zu haben. Das Mädchen schrie weiter.
»Maaaaami!« Offensichtlich konnte es nicht nur diesen schrillen, enervierenden Quietschlaut von sich geben, sondern war auch in der Lage zu sprechen.
York ging in die Knie und streckte die Hand aus. »Es ist gut«, flüsterte er. »Keiner tut dir was!«
Doch die Kleine schien ihm nicht zu glauben. Böse funkelte sie ihn an und für einen kurzen Augenblick sah er ein gemeines Blitzen in ihren Augen. Dann schrie sie wieder, noch lauter und durchdringender als zuvor.
»Was ist denn, Marie?«, hörte er eine gereizte weibliche Stimme von der anderen Seite der Schließfächer. »Kann man dich denn nicht mal für eine Minute alleine lassen?«
Das Kind kreischte weiter. Es war nur eine Frage der Zeit, bis außer der Mutter noch andere Leute auf das Mädchen reagierten.
York schloss die Augen, stellte sich sein Zimmer vor und holte tief Luft. Augenblicklich trat Stille ein.
Er war wieder zu Hause! Die Aufregung ließ sein Herz schneller schlagen! Das war einfach gewesen! Aber wieso hatte das nicht mit Morvangar geklappt? York versuchte es erneut, aber nichts geschah.
Ein dritter Versuch. York stellte sich die kleine Bäckerei vor, in der er auf seinem Weg zum Bahnhof einen Tee getrunken hatte. Er schloss die Augen. Augenblicklich umfing ihn Straßenlärm. Zwei Männer schrien auf, als er direkt vor ihnen auftauchte. Eine Frau stolperte vor Schreck und fiel hin. York war so verwirrt, dass er ihr auf die Beine helfen wollte, anstatt klugerweise so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
Nun hatten sich auch die beiden Männer von ihrem Schreck erholt. Sie packten York, zerrten ihn zurück und warfen ihn zu Boden. York spürte, wie er sich die Knie auf den rauen Gehwegplatten aufschürfte.
»Wo kommst du her?«, fuhr ihn einer der beiden an, ein schnauzbärtiger Kerl mit pomadigem Haar. Er stank aus dem Mund, als hätte er sich schon länger nicht die Zähne geputzt.
»Ich hab mich hier angestellt, wie jeder andere auch.«
»Das ist gelogen«, rief die Frau, die sich nun wenig damenhaft auf die Beine kämpfte, wobei das ausladende Gestell ihres Reifrocks sie behinderte. »Du bist wie ein Springteufel aus dem Nichts aufgetaucht!«
Einige der Umstehenden, die nichts von alledem bemerkt hatten, lachten. Sie schienen wohl zu glauben, dass die Frau mit dem etwas derangierten Haar zu tief ins Glas geschaut hatte.
York versuchte aufzustehen, aber einer der Männer drückte ihm das Knie ins Kreuz, sodass ihm das Atmen schwerfiel. »Verdammt, gehen Sie runter von mir«, keuchte er. »Ich bekomme keine Luft mehr!«
»Erst, wenn du uns erzählst, wo du herkommst«, knurrte ihn der Mann an.
»Lassen Sie den Jungen in Ruhe!«, rief eine andere Frau. »Sehen Sie nicht, dass Sie ihm wehtun?« Sie trat vor und zerrte am Arm des Mannes, der sie daraufhin unwirsch fortstieß. Aber das hätte er nicht tun sollen. Die Stimmung kippte, zumal jetzt immer mehr Leute auf die Szene aufmerksam wurden, die nicht Zeuge von Yorks plötzlichemErscheinen waren. Ihm kam jetzt zugute, dass er die teure Kleidung eines Jungen der Oberklasse trug, während der Schnauzbart wie das besonders schäbige Exemplar eines Fabrikarbeiters aussah.
Ein in feines Tuch gekleideter Mann trat vor und stieß dem Mann seinen Stock in die Seite. »Ich schlage vor, Sie erheben sich und lassen den Jungen
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